IQWiG-Vize zu schnellen Zulassungen

EMA darf Zulassungs-Konsens nicht aufkündigen

Stuttgart - 05.09.2016, 09:00 Uhr

Wie schnell dürfen Arzneimittel am Patienten angewendet werden? IQWiG-Vize Stefan Lange spricht sich gegen Absenkung der Standards aus. (Foto: Wolfilser / Fotolia)

Wie schnell dürfen Arzneimittel am Patienten angewendet werden? IQWiG-Vize Stefan Lange spricht sich gegen Absenkung der Standards aus. (Foto: Wolfilser / Fotolia)


Hoch verzerrte Ergebnisse

DAZ.online: Was genau kritisieren Sie am Konzept der „Adaptive Pathways“? Hier sollen ja Arzneimittel zuerst an einzelnen Probandengruppen durchgeführt werden – und dann über „Real World Data“, also Daten aus „dem echten Leben“, die zugelassenen Indikationen erweitert werden.

Lange: Den Begriff halte ich für einen Euphemismus. Unter Real World Data“ werden zumeist Ergebnisse von Beobachtungsstudien, also von Studien in der Routine-Versorgung verstanden, die außerhalb der streng kontrollierten Bedingungen der Zulassungsstudien durchgeführt werden. Die amerikanische Zulassungsbehörde FDA hat kürzlich eine Definition vorgelegt, die sogar an die viel kritisierten Anwendungsbeobachtungen erinnert. Häufig werden Real World Data und „Big Data“ auch synonym verwendet. Die Daten werden aber nicht durch die schiere Menge besser. Wenn eine Studie bereits überzeugende Ergebnisse zu einer kleinen Patientengruppe vorweist, dann ist es sehr schwierig, Patienten mit einer anderen Indikation für eine kontrollierte Studie zu gewinnen, bei der sie riskieren, per Zufallsprinzip der Kontrollgruppe zugeteilt zu werden, wo sie den neuen Wirkstoff nicht bekommen.

Man muss davon ausgehen, dass „Real World Data“ für die Frage nach einem Nutzen potenziell hoch verzerrt Ergebnisse liefern, diese also kaum mehr interpretiert werden können – das ist völlig klar. Im Versorgungsalltag richtet sich die Wahl der Therapie typischerweise danach, welche Prognose die Patienten haben. Den neuen Wirkstoff bekommen dann diejenigen Patienten, die eine besonders schlechte oder besonders gute Prognose haben. Die Verzerrung, die dadurch entsteht, lässt sich mit statistischen Methoden nachträglich aber kaum noch korrigieren.

DAZ.online: Aber hilft es nicht doch, wenn für eine spezielle Indikation gute Ergebnisse erzielt werden?

Lange: Die „schönen Effekte“ bei der Zulassung werden oft nur bei sehr speziellen Patientengruppen gesehen. Hier werden zum Beispiel häufig Patienten mit Begleiterkrankungen ausgeschlossen. Wenn ernste Zweifel bestehen, dass der Nutzen einer Therapie in der breiten Anwendung, also auch bei solchen, in den Zulassungsstudien ausgeschlossenen, Patienten besteht, muss man eine entsprechende aussagekräftige Studie machen.

Für Deutschland wissen wir auch, dass wir keine Handhabe haben, einen Off-label-Use bei einem zugelassenen Arzneimittel tatsächlich zu verhindern. Alle Erfahrungen zeigen außerdem, dass das Generieren von belastbaren Daten nach der ersten, eigentlich eingeschränkten Zulassung kaum noch stattfindet: Wenn Arzneimittel erst einmal in der Versorgung sind, ist es sehr schwer, vernünftige Studien für die noch offenen Fragen zu machen. Adaptive Pathways ist insofern der Versuch der Quadratur des Kreises.

Eine Folge des Konzepts wäre es auch, dass man sich zukünftig mehr auf Surrogat-Parameter verlassen würde. Dabei haben wir gerade eine jahrzehntelange Diskussion hinter uns, an deren Ende wir erkennen mussten, dass uns solche Surrogate oft getäuscht haben.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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