Für schwerkranke Patienten

Bundestag erlaubt Cannabis auf Kassenrezept

Berlin - 19.01.2017, 16:30 Uhr

Cannabis wird es zukünftig auf BtM-Rezept aus der Apotheke geben, Kassen müssen die Kosten erstatten. (Foto: stokkete / Fotolia)

Cannabis wird es zukünftig auf BtM-Rezept aus der Apotheke geben, Kassen müssen die Kosten erstatten. (Foto: stokkete / Fotolia)


Am heutigen Donnerstag hat der Deutsche Bundestag das „Cannabis-Gesetz“ verabschiedet: Patienten mit starken Schmerzen oder Multiple Sklerose können zukünftig Medizinalhanf auf Rezept bekommen – Krankenkassen müssen die Kosten erstatten. Bundesapothekerkammer-Präsident Andreas Kiefer begrüßte den Schritt.

Nach jahrelangen Diskussionen verabschiedete der Deutsche Bundestag am Donnerstag einstimmig das „Gesetz zur Änderung betäubungsrechtlicher und anderer Vorschriften“, mit dem Cannabis Rezept- und erstattungsfähig wird. Für gesetzlich versicherte schwerkranke Patienten, beispielsweise mit chronischen Schmerzen oder Multipler Sklerose, für die es keine Therapiealternativen gibt, müssen ihre Kassen zukünftig im Regelfall die Kosten übernehmen.

Das „Cannabis-Gesetz“ sei wichtig, um die Versorgung schwerkranker Patienten zu verbessern, erklärte die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Ingrid Fischbach (CDU), im Bundestag. „Wir wollen ihr Leid lindern und ihre Versorgung leichter machen“, betonte sie. Dies sei „ein großer Schritt in die richtige Richtung“. Patienten sollen Cannabisblüten oder Cannabisextrakte erhalten – oder auch die Wirkstoffe Dronabinol und Nabilon.

Für Kiefer wird „langjährige Forderung“ aufgegriffen

Die Bundesapothekerkammer (BAK) begrüßte in einer Presseerklärung den Schritt. „In ärztlicher Hand ist Cannabis eine weitere Therapieoption“, erklärte ihr Präsident Andreas Kiefer. „Wir freuen uns, dass unsere langjährige Forderung aufgegriffen wurde und medizinisch notwendiges Cannabis wie andere Arzneimittel behandelt wird“, sagte er. „In Zukunft können Patienten Rezepturarzneimittel aus Cannabis in kontrollierter pharmazeutischer Qualität aus der Apotheke bekommen. Die Krankenkassen können diese Medikamente nach vorheriger Genehmigung auch erstatten.“

Für Apotheker ändert sich mit dem Gesetz, das nach der Veröffentlichung im Bundesanzeiger dem Vernehmen nach zu Anfang März in Kraft treten soll, ein zentraler Punkt: Sie können Medizinalhanf zukünftig auf Betäubungsmittel-Rezept abgeben, eine Ausnahmegenehmigung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) wird nicht mehr benötigt.  

Das Gesetz beendet lange Auseinandersetzungen

Patienten wie auch einige Gesundheitspolitiker haben die Freigabe von Cannabis für medizinische Zwecke schon lange gefordert. Insbesondere aus den Reihen der Union waren vielfach Bedenken vorgetragen worden, dies könne dem Freizeitgenuss von Hanf Vorschub leisten. Auch BAK-Präsident Kiefer wies auf Gefahren der Droge hin. „Jeder weiß: Medikamente haben Risiken und Nebenwirkungen“, erklärte er. „Es wäre fahrlässig und falsch, aus dem medizinischen Einsatz zu folgern, dass Cannabis als Genussmittel harmlos wäre.“ Aus Sicht von Apothekern sollte die Legalisierung zu Genusszwecken „sorgfältig geprüft werden“, da der Konsum mit Risiken wie einem erhöhten Unfallrisiko, psychischen Erkrankungen oder Abhängigkeiten verbunden sei.

Für die Bundesdrogenbeauftragte Marlene Mortler (CSU) und den Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) wird bei der Verabschiedung des neuen Gesetzes auch ein Gerichtsurteil eine wesentliche Rolle gespielt haben: Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hatte im April geurteilt, dass ein Patient mit Multipler Sklerose selbst Cannabis anbauen darf, da er es sich nicht leisten konnte, ihn aus der Apotheke zu beziehen. Im September erhielt er die Genehmigung des BfArM, wie inzwischen auch ein weiterer Patient. Durch das Gesetz will die Bundesregierung nun sicherstellen, dass Patienten nicht auf den Eigenanbau zurückgreifen müssen, sondern möglichst standardisierte Produkte auf Kosten der Kassen erhalten.

Während bislang Cannabis für medizinische Zwecke aus dem Ausland importiert wird, soll das BfArM zukünftig als staatliche „Cannabisagentur“ den Anbau in Deutschland ausschreiben und den Vertrieb koordinieren und kontrollieren. Außerdem ist die Behörde für eine Begleitforschung verantwortlich, die innerhalb von fünf Jahren die Verschreibungspraxis untersuchen soll. Nach Kritik von Experten werden Patienten nicht mehr verpflichtet, hieran teilzunehmen – stattdessen sollen nur noch anonymisierte Daten vom BfArM ausgewertet werden.

Regierung beendet laut Linke ein „unwürdiges Spiel“

„Insbesondere die CDU und CSU hat die Versorgung mit Cannabis den Patienten über Jahre erst rechtlich und dann finanziell versagt“, kritisierte Frank Tempel, drogenpolitischer Sprecher der Linken, gegenüber DAZ.online. „Dieses unwürdige Spiel hat nur deshalb ein Ende, weil Cannabispatienten sämtliche Verbesserungen gerichtlich gegen die Bundesregierung durch alle Instanzen erkämpft haben“, erklärte er. „Die Regierung setzt jetzt das um, was ihnen Gerichte an Hausaufgaben aufgetragen haben.“

Der Anwalt des ersten Patienten, dem in Deutschland der Eigenanbau von Cannabis genehmigt wurde, bezeichnete das Gesetz auf Nachfrage als „großen Fortschritt“. „Hier hat Bundesgesundheitsminister Gröhe schwere Versäumnisse seiner Vorgänger endlich wett gemacht“, erklärte Oliver Tolmein. Er hoffe, dass die Krankenkassen ihren Versicherten den Zugang zu Cannabis nicht erschweren – nach letzten Änderungen am Gesetz müssen sie die Kosten im Normalfall erstatten und abweichende Bescheide innerhalb von drei Tagen begründen.

„Bedauerlich ist, dass der Gesundheitsminister das aktuelle Gesetz nicht genutzt hat, um auch den symptomlindernden Einsatz von Medikamenten im Off-Label-Use in der Palliativversorgung zu ermöglichen“, sagte der Anwalt. Er bezeichnete die neue Gesetzeslage als „Zwei-Klassen-Recht“. 

Eigenanbau sollte laut Tolmein jetzt keine Rolle mehr spielen – wenn das Gesetz entsprechend umgesetzt wird, sagt er. „Wenn die Krankenkassen hier allerdings versuchen das Gesetz im Verwaltungswege restriktiv umzusetzen, kann es notwendig werden, auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zurück zu greifen.“

Update: Die Wirkstoffe Dronabinol und Nabilon können anders als zuvor geschrieben gemäß denselben Ausnahmeregeln wie Cannabisblüten oder Cannabisextrakte verschrieben werden. 



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.