Expertendiskussion

Soll man alle Kinder gegen Grippe impfen?

Riga - 11.10.2017, 10:37 Uhr

Nur chronisch kranke Kinder oder alle gegen Grippe impfen? Die Meinungen gehen auseinander. (Foto: Picture-Factoy / stock.adobe.com)

Nur chronisch kranke Kinder oder alle gegen Grippe impfen? Die Meinungen gehen auseinander. (Foto: Picture-Factoy / stock.adobe.com)


Das Robert Koch-Institut empfiehlt derzeit nicht, Kinder generell gegen Grippe zu impfen. Nur solche, die infolge einer Grunderkrankung, zum Beispiel Asthma oder Diabetes, besonders gefährdet sind, heißt es in den aktuellen Impfempfehlungen der STIKO. Der finnische Grippeforscher Timo Vesikari sieht das anders. 

Eine Grippeimpfung wird standardmäßig für ältere Menschen, Schwangere und chronisch Kranke empfohlen. Eine Impfung für Kinder und Jugendliche wird nur dann angeraten, wenn sie erhöhte Risiken aufweisen – etwa aufgrund chronischer Krankheiten. Doch auch für gesunde Kinder kann sie angebracht und sinnvoll sein, wie der finnische Grippeforscher Timo Vesikari von der Universität Tampere der Deutschen Presse-Agentur dpa am Rande einer internationalen Grippekonferenz in Riga erklärte.

„Kinder sind in besonderem Maße von der Grippe betroffen. Deshalb ist es wichtig, sie zu impfen“, sagte Vesikari. Nur so könnten sie vor verschiedenen möglichen Komplikationen geschützt werden. Zudem würden damit auch andere Personengruppen geschützt. „Kinder sind die Hauptüberträger des Virus innerhalb der Gesellschaft“, sagte Vesikari. 

Grippe-Schutzimpfungen für Kinder sind international umstritten. Einige Länder wie Lettland und Vesikaris Heimatland Finnland empfehlen, Kleinkinder generell zu impfen. „Eine flächendeckende Grippe-Schutzimpfung von Kindern kann über den individuellen Schutz hinaus auch die Ansteckungsgefahr für Erwachsene reduzieren“, sagt  Gerhard Falkenhorst vom Robert Koch-Institut. Dafür müssten aber weniger die bis Fünfjährigen, sondern vor allem Schulkinder geimpft werden, weil diese die Viren besonders stark verbreiteten.

Studie: Adjuvans brachte nur bei Kleinkindern Vorteile

Der finnische Wissenschaftler Vesikari stellte auf der Konferenz in Riga das Ergebnis einer Studie mit gut 10.000 Kindern im Alter zwischen sechs Monaten und fünf Jahren vor. Die Phase-III-Studie wurde während der Grippesaison 2013/2014 und 2014/2015 in neun Ländern durchgeführt. Davon bekam eine Hälfte einen herkömmlichen Impfstoff und die andere einen Impfstoff mit dem Adjuvans MF59 verabreicht. Dabei zeigten beide Impfstoffe ein ähnliches Sicherheitsprofil. Für Kleinkinder von sechs bis 24 Monaten zeigte das Vakzin mit  Adjuvans den Ergebnissen zufolge aber eine höhere Wirksamkeit. Für ältere Kinder ergab er jedoch keinen zusätzlichen Vorteil.

Welcher Impfstoff ist am besten für Kinder? 

„Wir waren vom Ergebnis etwas enttäuscht: Der adjuvantierte Impfstoff zeigt gegenüber herkömmlichen Impfstoffen keinen Vorteil bei Kindern, die älter als zwei Jahre sind“, erläutert Gerhard Falkenhorst vom Robert Koch-Institut. Im Grunde treffe die Studie sogar nur für das Influenza A/H3N2-Virus eine belastbare Aussage. Andere Influenzaviren seien während der Studiendauer so selten aufgetreten, dass man nicht beurteilen könne, ob der neue Impfstoff auch bei ihnen Vorteile bietet.

Offene Fragen bei Lebendimpfstoffen

Für gezielte Impfkampagnen, wie sie beispielsweise an britischen Schulen durchgeführt würden, seien Lebendimpfstoffe mit abgeschwächten Viren besonders vorteilhaft, erklärte der RKI-Experte. Man könne sie als Nasenspray (Fluenz) verabreichen, während der neue adjuvantierte Impfstoff wie andere herkömmliche Impfstoffe gespritzt werden müsse. Allerdings gebe es bei den Lebendimpfstoffen zur Zeit noch offene Fragen zur Wirksamkeit gegen den besonders häufigen Virustyp A/H1N1, der zusammen mit A/H3N2 der häufigste Virustyp sei. In der aktuellen STIKO-Empfehlung wurde der Hinweis, dass bei Kindern im Alter von zwei bis sechs Jahren bevorzugt der nasale attenuierte Influenza-Lebendimpfstoff (LAIV) verabreicht werden soll, gestrichen. Lediglich bei Hindernissen für eine Injektion (Spritzenphobie oder Gerinnungsstörungen) soll dieser präferiert werden. Grundsätzlich kommt er laut STIKO für Kinder von zwei bis 17 Jahren infrage. 

Das Robert Koch-Institut sieht bislang keinen Anlass, von derzeitigen Impfempfehlungen abzuweichen.



Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.