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Norddeutscher Zyto-Workshop (NZW)
Instrumentalisieren die Kassen den Zyto-Skandal?
Beim berufspolitischen Forum auf dem Norddeutschen Zyto-Workshop-Kongress (NZW) ging es am vergangenen Wochenende auch um den Bottroper Zyto-Skandal. Die Diskutanten erörterten insbesondere die Frage, welche Rollen die Krankenkassen und die Politik in der Diskussion rund um die Zyto-Versorgung spielen. Dabei stand die Frage im Raum: Nutzen die Kassen den Zyto-Skandal dafür aus, ihre eigenen politischen Interessen durchzusetzen?
„Ethische Aspekte bei der Patientenversorgung“ – das war Thema des berufspolitischen Forums beim Norddeutschen Zyto-Workshop (NZW) am vergangenen Wochenende in Hamburg. Der Anlass für die Ethik-Debatte ist aktuell und medial prominent: Ein Apotheker aus Bottrop soll in unermesslich großem Umfang fehlerhafte Zytostatika-Zubereitungen hergestellt haben. Der angeklagte Apotheker sitzt seit Monaten in Untersuchungshaft, mittlerweile hat das Strafverfahren begonnen.
Der auf Apotheken- und Krankenhausrecht spezialisierte Jurist Dr. Ulrich Grau moderierte die Ethik-Diskussion in Hamburg. Außerdem waren mit von der Partie: Der Medizinethiker Prof. Giovanni Mayo, zwei von Tumorerkrankungen betroffene Patientenvertreterinnen, der Vorsitzenden der DGOP, Klaus Meier, und Apotheker Michael Marxen.
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„Bottrop hat zu viel Misstrauen geführt“, sagte Anita Waldmann, eine der beiden Patientenvertreterinnen. Ihr Sohn starb im Alter von 27 Jahren an akuter Leukämie. Sie verurteilt jedoch aufs Strengste die Extrapolation dieses Einzelfalls auf die bundesweite Apothekerwelt: „Einer steht nicht für alle."
Selbst von einer Tumorerkrankung betroffen, sieht Evelyn Kraßmann das ähnlich: „Man darf diesen Einzelfall nicht pauschal verurteilen“, warnte sie. Kraßmann hatte Magenkrebs, sie war Gesicht der Imagekampagne der ABDA „Meine Gesundheitsgeschichte“. Als Patient stehe man vor seiner Krebserkrankung, die per se Ängste und Unsicherheiten schüre, und der Fall Bottrop verunsichere Tumorpatienten zusätzlich.
Ihr habe der direkte Kontakt zu ihrer Apotheke geholfen, dadurch wisse sie mittlerweile, was der Apotheker bei der Zytostatika-Herstellung alles leiste. Ihre positive Erfahrung und diese Transparenz wünscht sich die Betroffene auch für andere Patienten: „Dann weiß man als Patient, dass Kontrollen in den Apotheken bereits umfangreich stattfinden."
Mehr Sicherheit durch mehr Kontrollen?
Könnten zusätzliche Kontrollen – auch unangekündigte – die Herstellungs-Sicherheit bei Zytostatika erhöhen und dabei helfen, „schwarze Schafe“ schneller zu entlarven? Diese Forderungen werden seitens der Politik und Krankenkassen laut. Evelyn Kraßmann ist skeptisch. Die Patientin erachtet weitere Kontrollen für nicht zielführend: „Ein Mehr an Verwaltungsarbeit geht nur zu Lasten der Patienten und der Apotheker“.
GKV und Politik instrumentalisieren Zyto-Skandal
Aber welche Rolle spielen die Krankenkassen in dieser Angelegenheit? Zumindest der AOK-Bundesverband argumentiert, dass der Zyto-Skandal Bottrop durch Ausschreibungen vermieden werden können, da die Krankenkassen ihre Ausschreibungspartner nach qualitätsbezogenen Kriterien auswählten und nur regional versorgen dürften. Das erklärte AOK-Versorgungschefin Sabine Richard im Interview mit DAZ.online. Für den Juristen Grau entbehrt das allerdings jeder Logik. Denn die „Alte Apotheke" des angeklagten Apothekers Peter S. hatte groteskerweise ja tatsächlich zahlreiche Zuschläge bei den Ausschreibungsverfahren der Krankenkassen erhalten.
„Ausschreibungen sind nicht geeignet, um derartige Situationen abzufangen“, sagt Grau. Was dieser Fall nach Ansicht des Juristen jedoch deutlich zeigt: Obwohl derzeit noch ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren laufe, versuchten Krankenkassen und Politik diesen Anlass bereits für ihre jeweils eigenen Interessen zu missbrauchen. Den Eindruck, dass der Zyto-Prozess als Politikum instrumentalisiert werde, gewinnt auch Patientin Evelyn Kraßmann: „Ich habe nicht das Gefühl, dass Patienteninteressen im Vordergrund stehen“, sagt Kraßmann.
Apotheker sollten sich als Arzneimittelberater verstehen
Professor Giovanni Mayo möchte den Zyto-Prozess anders nutzen. Mayo hat den Lehrstuhl für Medizinethik in Freiburg inne und ist Direktor des dortigen Instituts für Ethik und Medizin. Er beschreibt den derzeit resultierenden politischen Aktionismus als „wenig reflektiert“ und „oberflächlich argumentiert“, sogar „populistische“ Züge erkenne er in der derzeitigen Debatte. Mayo bezweifelt ebenfalls den Mehrwert zusätzlicher Kontrollen.
Wichtige Funktionen für Apotheker könnten sich für Mayo aber in einem ganz anderen Bereich ergeben: Er betonte: „Der Beruf des Apothekers ist sehr wichtig. Der Patient ist im Medizinsystem verloren: Aus dem stationären Bereich wird er rauskatapultiert, im ambulanten findet er keinen Ansprechpartner“. Der Fall in Bottrop sollte Anlass sein, noch einmal gründlich darüber nachzudenken, welche Leistung der Apotheker erbringe und wie er sich verstehen müsse. Der Medizinethiker sagt:
Der Apotheker ist ein Heilberuf, er ist weder Geschäftsmann noch Angestellter des Staates. Er übt einen freien Beruf mit einer Gemeinwohlverpflichtung aus.
Apotheker als Kaufmann schafft finanzielle Fehlanreize
Ein Apotheker darf sich nicht als Geschäftsmann verstehen? Eine herausfordernde Aufgabe, denn fraglos agieren selbständige Apotheker – mit oder ohne Zytostatikaversorgung – mit einem Unternehmen, ihrer Apotheke, am Markt und müssen konsequenterweise auch betriebswirtschaftlich denken. Der Jurist Ulrich Grau sieht hier aber keinen Widerspruch: „Der Beratungsansatz und die kaufmännische Tätigkeit schließen sich nicht aus, im Gegenteil. Der Apotheker ist einerseits Kaufmann, aber andererseits einem besonderen Gemeinwohl, nämlich der ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung des Patienten, verpflichtet“. Das sei sogar im Apothekengesetz angelegt, so Grau.
Mayo argumentiert: Wenn die Apotheker nur dafür bezahlt würden, wie viele Medikamente sie über die Theke schieben, entstehe unweigerlich ein Fehlanreiz, der das Grundverständnis des Apothekers erodiere. „Das dürfen Sie nicht mit sich machen lassen". Die Apothekerschaft müsse ihre Kernleistung in der Beratung des Patienten verstehen – und darum müssten die Apotheker kämpfen, „dass sie für diese zwischenmenschliche Leistung, für die Beratungsleistung angemessen vergütet werden,“ appelliert der Medizinethiker.
Es gibt keine mächtigere Lobby als die der Krankenkasse.
Marxen: Apotheker setzen sich für Patienten ein
Auch der Apotheker Michael Marxen beschäftigte sich in seinem Beitrag mit diesem Thema. Marxen ist stellvertretender Präsident des Verbands Zytostatika herstellender Apothekerinnen und Apotheker (VZA) und engagiert sich in gleicher Position auch bei der Deutschen Gesellschaft für onkologische Pharmazie (DGOP). Nach Ansicht Marxens leben unzählige Apotheker bereits heute das von Mayo vorgetragene beratungsbetonte Selbstverständnis. Selbst Inhaber einer Zytostatika herstellenden Apotheke, sieht er das Problem an anderer Stelle: Vertrete man als Berufsgruppe seine Interessen, werde man von der Politik und den Krankenkassen schnell in die Ecke des negativ besetzten Lobbyisten gesetzt, erklärt Marxen.
Dabei müsste aus seiner Sicht eine ganz andere Lobbygruppe stärker unter die Lupe genommen werden: „Es gibt keine mächtigere Lobby als die der Krankenkassen, die per se als Gutmenschen dargestellt wird, die unsere Sozialversicherungsgelder verwalten, während die Leistungserbringer stets die Bösen sind. Ich will nicht die Flinte ins Korn schmeißen, aber es ist nicht ganz leicht gegen diese Lobby-Macht anzukommen.“
Um seine These zu untermauern, kam Marxen erneut auf den Bottroper Zyto-Skandal zu sprechen. Dazu sagte er:
Eine Lobby, die selbst Bottrop noch als positives Argument für Ausschreibungen instrumentalisiert, die ruinöse Forderungen stellt und uns jetzt, durch Rabatt- und Open-House-Verträge, kleine Firmen mit Lieferengpässen und Fälschungsproblematik einbringt – diese Lobby kann nicht behaupten, Patienteninteressen zu vertreten“.
Schließlich sprachen die Diskutanten bei der berusfspolitischen Diskussion auch noch über den Schiedsstellenspruch zur Hilfstaxe. Klaus Meier, Präsident der DGOP, sieht den Wert des Schiedsspruchs
kritisch: „Wenn der Gesetzgeber sich entschlossen hat, die ortsnahe
Versorgung mit beratenden Apothekern umzusetzen, dann kann ein externes
Gremium, was eine Schiedsstelle letztendlich ist, dies nicht einfach
konterkarrieren“, sagte Meier mit Blick auf den Beschluss des Bundestages, die exklusiven Zyto-Verträge abzuschaffen.
1 Kommentar
Lobby
von Bernd Küsgens am 29.01.2018 um 19:21 Uhr
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