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„Datenklau“-Prozess
Bellartz-Anwalt schießt gegen „Verbandsfürstin“
Im „Datenklau“-Prozess holte der Verteidiger des angeklagten Ex-ABDA-Sprechers heute zum Gegenschlag gegen Phagro-Geschäftsführerin Bernadette Sickendiek aus. Er bezichtigte sie der Falschaussage und vermutet persönliche Rache gegen einen unbequemen Journalisten, der dem „Synchronschwimmen“ einer Branche zu nahe gekommen war. Das Gericht lud Sickendiek daraufhin für den kommenden Freitag erneut als Zeugin.
Am heutigen Freitag stand für den früheren ABDA-Pressesprecher Thomas Bellartz und den Computer-Spezialisten Christoph H. der zehnte Verhandlungstag vor dem Berliner Landgericht an. Die beiden sind angeklagt, gemeinschaftlich Daten aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG) ausgespäht zu haben. Zahlreiche Zeugen haben bereits ausgesagt; erst vergangenen Dienstag waren der frühere ABDA-Präsident Heinz-Günter Wolf sowie die Protokoll-Referentin der ABDA befragt worden. Ihre Aussagen vermochten die Anschuldigungen gegen die Angeklagten nicht zu bestätigen, wie heute beide Verteidiger betonten. Sie hätten glaubhaft dargelegt, nichts von Mails oder Datenträgern aus dem Ministerium gewusst zu haben.
Sehr wortreich ging Bellartz´ Anwalt Carsten Wegner dann allerdings auf die Zeugenaussage von Bernadette Sickendiek ein, der Geschäftsführerin des Bundesverbands der Pharmazeutischen Großhandels Phagro. Und seine Vorwürfe hatten es in sich: Sickendiek habe falsch ausgesagt, um Bellartz zu belasten und ein schlechtes Licht auf die Apotheker und ein ihr offenbar unliebsames Medium zu werfen. Im Mittelpunkt dieser Anschuldigungen: Wegner hatte Sickendiek am vergangenen Dienstag gefragt, ob es unter Phagro-Mitgliedern einmal Kartellabsprachen gegeben habe, die verfolgt und bestraft wurden. Dazu sagte die Zeugin, die eine solche Frage vermutlich nicht erwartet haben dürfte, solche Fälle habe es einmal Ende der 1980er Jahre gegeben. Seit 2005 – seitdem sie nach mehreren in Südamerika verbrachten Jahren zurück beim Phagro ist – sei ihr nichts dazu bekannt. Wobei sie auf die weitere Nachfrage, ob im Moment noch Kartell-Verfahren gegen Phagro-Mitglieder anhängig seien, nicht ausschloss, dass dies der Fall sei.
Persönliche Rache?
Wegner führte daraufhin eine Reihe von Berichten – von Apotheke Adhoc, aber auch aus anderen Medien – an, die zeigten, dass das Kartellamt nach 2005 durchaus noch aktiv gegen Großhändler vorging. Tatsächlich verhängte das Bundeskartellamt noch im Herbst 2006 Bußgelder gegen Pharmagroßhändler. Und auch im Jahr 2016 gab es Durchsuchungen in der Branche. Diese habe Sickendiek bei ihrer Zeugenaussage verschwiegen. Wegner verwies auf Berichte des Apotheke Adhoc-Redakteurs Alexander Müller zum „Synchronschwimmen der Branche“ und Thomas Bellartz´ 2013 erschienenes Buch „Schleppnetz“, in dem es um den (gescheiterten) Angriff Celesios auf den deutschen Apothekenmarkt ging – der Pharmagroßhändler hatte 2007 die niederländische Versandapotheke DocMorris gekauft. „Kann es sein, dass der Phagro und seine Repräsentanten über diese Berichterstattung nicht erfreut waren und nur darauf warteten, sich zu revanchieren?“ fragte der Anwalt.
Phagro contra Apotheker
Er ging zudem auf die sehr gespannte Stimmung zwischen Apothekern und Großhändlern im Jahr 2010 ein, als das Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetz entstand, das sowohl von Apothekern wie auch von Großhändlern einen erheblichen Sparbeitrag abforderte. Als die Großhändler deutlich machten, sie würden ihren auf die Apothekerschaft abwälzen, war das Verhältnis „natürlich zerrüttet“, so Wegner. Doch dazu schweige Sickendiek – und auch die polizeilichen Ermittlungen hätten sich hierfür nicht interessiert. Auch auf Bellartz´ eigenes Kartellverfahren ging der Anwalt ein – er war einer von mehreren Personen, denen das Kartellamt vorgeworfen hatte, die Apotheker zu einem Gehe-Boykott aufgerufen zu haben, als Celesio DocMorris übernahm. Dieses Verfahren sei jedoch eingestellt worden – anders als solche gegen Großhändler.
Sickendiek erneut als Zeugin geladen
Wegner säte zudem Zweifel an der Richtigkeit weiterer
Aussagen Sickendieks. Sie stünden teilweise im Widerspruch zu denen des im Prozess
als ersten Zeugen vernommenen BMG-Juristen. Dabei ging es
beispielsweise um Details, ob das Gespräch mit Alexander Müller telefonisch
stattfand oder der Journalist sie persönlich „abgefangen“ hatte. Auch bei den
genauen Daten zum den BMG-Treffen gebe es Widersprüchlichkeiten. Zudem bei der Frage, wen Sickendiek zunächst als Leck im BMG in Verdacht hatte. Der Anwalt stellte zahlreiche Anträge auf Herbeiziehung
von Zeitungsartikeln. Aber auch alle Phagro-Unterlagen zu den BMG-Terminen im
August 2010 sollten beschlagnahmt werden.
Für Wegner zeigt der Prozess schlicht eine „verkehrte Welt“: Eine Ex-Frau und eine „Verbandsfürstin“ mit Rachegelüsten stünden als Zeuginnen gegen einen Journalisten, der sich für Apotheken eingesetzt habe. Sein Mandant solle zum Schweigen gebracht werden, dabei müsste er heute ein „gefeierter Whistleblower“ sein, so der Anwalt.
Der Vertreter der Staatsanwaltschaft sah sich nach der Verlesung der 67-seitigen Stellungnahme nicht in der Lage, hierzu sofort etwas zu sagen. Ohnehin fällt dieser seit seinem offenherzigen Medien-Auftritt am ersten Prozesstag vor allem durch sein Schweigen auf. Bellartz´ Anwalt hatte diesen Auftritt scharf attackiert und der Staatsanwaltschaft vorgeworfen, selbst Informationen an ausgewählte Journalisten durchzustechen. Dagegen reagierte das Gericht prompt auf Wegners heutigen wortreichen Vortrag. Es führte die von dem Anwalt angesprochenen Dokumente in das Verfahren ein – allerdings ohne sie zu verlesen. Frau Sickendiek lud es für kommenden Freitag erneut als Zeugin, um gegebenenfalls etwas richtig zu stellen.
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