IQWiG-Projekt zur Verblisterung

Patientennutzen: Ist Verblistern besser als Stellen?  

Köln - 15.05.2019, 15:45 Uhr

Eine Befragung aus dem Jahr 2017 ergab, dass in etwa zwei Dritteln der Pflegeheime die Dauermedikation der Bewohner gestellt wird. Ein Drittel der Heime verwendet patientenindividuelle Einwegblister. (Foto: von Lieres / stock.adobe.com)

Eine Befragung aus dem Jahr 2017 ergab, dass in etwa zwei Dritteln der Pflegeheime die Dauermedikation der Bewohner gestellt wird. Ein Drittel der Heime verwendet patientenindividuelle Einwegblister. (Foto: von Lieres / stock.adobe.com)


Über den Nutzen für die Patienten und die wirtschaftlichen Vorteile bei der Verblisterung von Arzneimitteln wird erbittert gestritten. Darum hat das IQWiG dazu seit Juni 2018 einen „Rapid Report“ erstellt. Dieser wurde nun veröffentlicht, kommt aber zu keinem aussagekräftigen Ergebnis und schließt mit dem Vorschlag für eine neue Studie.

Die frühe Nutzenbewertung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat große Auswirkungen auf die Verfügbarkeit neuer Arzneimittel für die Versorgung und damit auch auf die Apotheken. Doch die Arbeit der Apotheken selbst ist üblicherweise kein Thema für das IQWiG. Eine bemerkenswerte Ausnahme bildet der Bericht über die patientenindividuelle Verblisterung vom 29. März, der erst am gestrigen Dienstag veröffentlicht wurde. 

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Zwei Drittel stellen, ein Drittel lässt verblistern

Die Befürworter der patientenindividuellen Verblisterung sehen insbesondere die Verringerung von Medikationsfehlern und den Zeitgewinn für das Personal von Alten- und Pflegeheimen als Vorteile an. Außerdem soll der verringerte Verwurf Kosten sparen. Gegner beklagen, dass das Pflegepersonal den Bezug zu den Arzneimitteln verliert und kurzfristige Medikationsänderungen erschwert werden. Das IQWiG stellte sich daraufhin selbst die Aufgabe nach prospektiven Studien zur patientenindividuellen Verblisterung zu suchen. Außerdem wurde gefragt, welcher Nutzen und welche Kosten sich beim Verblistern im Vergleich zum Stellen durch Pflegekräfte ergeben. Als externe Sachverständige waren Prof. Dr. Susanne Grundke, Hochschule für Technik und Wirtschaft, Saarbrücken, und Prof. Dr. Günther Neubauer, Institut für Gesundheitsökonomik, München, an dem Projekt beteiligt.

Keine Ergebnisse zum Nutzen

Das IQWiG konnte nur sieben prospektive vergleichende Studien zum Thema ermitteln, die den strengen Qualitätskriterien des Instituts genügen. Davon wurden fünf in den USA und jeweils eine in Großbritannien und Neuseeland durchgeführt. Alle beziehen sich auf selbstständig lebende Patienten, also nicht auf die entscheidende Zielgruppe der Heimpatienten. Daraufhin sieht das IQWiG keinen Anhaltspunkt für einen zusätzlichen Nutzen oder Schaden durch das Verblistern für Pflegeheimpatienten. Obwohl die ausgewählten Studien so wenig aussagen, wird nicht in einem weiteren Schritt geprüft, ob Studien mit geringerer Evidenz wenigstens einen Hinweis geben.

Schwache Aussagen zu den Kosten

Die weitere Arbeit beschäftigt sich mit möglichen Unterschieden bei den Kosten. Dazu hat das IQWiG 11 deutsche Studien aus der Zeit von 2006 bis 2017 betrachtet. Dabei seien Einsparungen zwischen 4,1 Prozent und 10,6 Prozent der Arzneimittelkosten durch vermiedenen Verwurf ermittelt worden. Die Herstellungskosten für einen Wochenblister lägen zwischen 1,60 und 3 Euro. Aus Herstellungskosten von 3 Euro pro Wochenblister und Einsparungen von 4,1 Prozent der Arzneimittelkosten ermittelt das IQWiG, dass die Verblisterung bei Kosten der verblisterten Arzneimittel von mindestens 73,17 Euro kostenneutral wäre.

Hinweise zur Preisregelung

Das IQWiG weist darauf hin, dass ein Honorar für die Verblisterung nicht einheitlich gesetzlich geregelt ist. Außerdem betont das IQWiG, dass Teilmengen von Fertigarzneimitteln von der Arzneimittelpreisverordnung ausgenommen sind. Möglicherweise soll damit der Weg für eine neue Diskussion über eine Aufweichung der Preisbindung für Rx-Arzneimittel eröffnet werden.

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Vorschlag für neue Studie

Die Angaben zur Zeiteinsparung für Pflegekräfte und zu möglichen anderen Zeitaufwänden werden als methodisch schwach eingestuft. Die geringe Aussagekraft der Daten wird vielfach kritisiert. Angesichts dieser Datenlage sieht das IQWiG Forschungsbedarf zur patientenindividuellen Verblisterung und schlägt ausführlich ein mögliches Design für eine solche Studie vor. Das bemerkenswerteste Ergebnis des Berichts ist daher offenbar die Erkenntnis, dass das IQWiG sich überhaupt für das Apothekerthema Verblisterung interessiert.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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3 Kommentare

Verblistern

von Conny am 15.05.2019 um 16:14 Uhr

Und dann gibt es bei zum Beispiel Kollegen die umsonst blistern bzw. für einen Euro. Ich schaue mir das noch eine Weile an und dann kommen drei absolute Hochpreiserrezepte zufällig:) in die Apotheke. Das wars dann.

» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten

AW: Verblistern

von Christoph Unglaub am 16.05.2019 um 9:06 Uhr

Aber verstößt kostenlos nicht gegen §299 StGB "Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr"

AW: Verblistern Kosten

von Dr Schweikert-Wehner am 16.05.2019 um 12:16 Uhr

Nach unserer internen Berechnungen liegen beim Verblistern alleine die Materialkosten bei etwa 1nem €. Die Herstellungskosten des Blisters, egal ob teilmaschinell oder komplett von Hand (Vollmaschinell gibt es in D nicht...) liegen zwischen 10-13€. Selbstmord durch Dumpingpreise: Viel Spaß dabei!

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