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Urteilsgründe zu Werbegaben
BGH: Brötchen-Gutschein nein, Traubenzucker ja?
Die Gründe zu den am 6. Juni gefallenen Urteilen des Bundesgerichtshofs zu Brötchen- und Ein-Euro-Gutscheinen liegen vor. Ausführlich erläutern die Richter darin, warum in beiden Fällen ein Verstoß gegen das heilmittelwerberechtliche Zuwendungsverbot vorliegt und dieses Verbot wiederum europarechtskonform ist. Auch das Thema Taschentücher und Traubenzucker wird kurz angesprochen – und daraus lässt sich schließen: Wer nach der Pressemitteilung vom Juni meinte, auch diese hätten nun als Apotheken-Geschenk ausgedient, war wohl etwas über Ziel hinausgeschossen.
Gespannt hatte man auf die Urteile des Bundesgerichtshofs (BGH) gewartet. Sie sollten die Frage klären, ob deutsche Apotheken auch nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 19. Oktober 2016 zur Rx-Preisbindung weiterhin dem strengen Zuwendungsverbot des § 7 Abs. 1 Heilmittelwerbegesetz (HWG) unterliegen, das jegliche Zuwendungen oder Werbegaben für Arzneimittel untersagt, „soweit sie entgegen den Preisvorschriften gewährt werden, die auf Grund des Arzneimittelgesetzes gelten“.
Die Berufungsinstanzen hatten unterschiedlich geurteilt: Das Oberlandesgericht Frankfurt hielt die Brötchen-Gutscheine, die eine Darmstädter Apothekerin ihren Kunden anlässlich einer Rezepteinreichung gewährte, nach wie vor für unzulässig. Das Kammergericht ließ dagegen die von einem Berliner Apotheker ausgegebenen Ein-Euro-Gutscheine durchgehen. Zwar nahmen beide Gerichte an, dass ein Verstoß gegen die Preisbindungsvorschriften und das heilmittelwerberechtliche Zuwendungsverbot vorliegt. Doch in Berlin meinte man, dieses Verhalten beeinträchtige die Interessen der Verbraucher und Mitbewerber nicht „spürbar“ und sei damit nicht unlauter.
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Der Bundesgerichtshof wies die Revision gegen das Urteil zum Brötchen-Gutschein bekanntlich zurück, während er das des Berliner Kammergerichts aufhob. In den schriftlichen Gründen führt der Zivilsenat nun unter anderem aus, warum auch das EuGH-Urteil nicht zu einer anderen Beurteilung führt – auch nicht wegen der immer wieder hervorgehobenen Inländerdiskriminierung. Der BGH verweist darauf, dass der Umstand, dass ausländische Versandhändler in Deutschland keiner Preisbindung unterliegen, zu keiner relevanten Ungleichbehandlung im Sinne des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) führt. Eine Ungleichbehandlung sei durchaus möglich, solange sie auf sachlichen Gründen beruhe.
Dazu verweist der BGH unter anderem auf den EuGH: Der habe in seinem Urteil vom 16. Oktober 2016 angenommen, dass sich die Arzneimittelpreisbindung im Hinblick auf die Besonderheiten des deutschen Marktes auf in Deutschland ansässige Apotheken weniger stark auswirke als auf im EU-Ausland ansässige Apotheken, da diese für einen unmittelbaren Zugang zum deutschen Markt in besonderem Maße auf den Versandhandel angewiesen seien. Der BGH dazu in seiner Begründung: „Dieser Umstand rechtfertigt eine unterschiedliche Behandlung von in Deutschland ansässigen Apotheken einerseits und in anderen Mitgliedstaaten der europäischen Union ansässigen Apotheken andererseits.“
Auch
einen Verstoß gegen die Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 GG) sieht der BGH nicht.
Die Preisbindungsvorschriften seien zwar
ein Eingriff in diese Freiheit – doch dieser sei nicht unverhältnismäßig,
sondern gerechtfertigt. Es gehe schließlich um die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung.
Zudem solle ein ruinöser Preiskampf
zwischen den Apotheken – insbesondere in unattraktiven Lagen – vermieden werden.
Und: Die Regelung soll auch dazu dienen, das finanzielle Gleichgewicht des GKV-Systems abzusichern.
Noch keine ernsthafte Existenzbedrohung für deutsche Apotheken
Und hat das EuGH-Urteil nun gar keine Auswirkung? Die Anwälte der angegriffenen Apotheken meinten: Der Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit sei jedenfalls dann unverhältnismäßig, wenn ausländische Marktteilnehmer uneingeschränkt Vorteile gewähren dürfen, inländische dagegen nicht einmal geringwertige Kleinigkeiten wie in den vorliegenden Fällen. Der BGH weist auch dieses Vorbringen zurück. Allerdings räumt er ein, dass eine ursprünglich verfassungsgemäße Norm durch die Änderung der Verhältnisse verfassungswidrig werden könne. Das setze aber voraus, dass Versandhändler Rx-Arzneimittel auf dem inländischen Markt ohne Rücksicht auf die Preisbindung tatsächlich in einem Umfang veräußerten, dass eine ernsthafte Existenzbedrohung inländischer Präsenzapotheken eintreten würde und das finanzielle Gleichgewicht des GKV-Systems nicht mehr gewährleistet wäre. Dass eine solche Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse bereits eingetreten sei, hatte aber niemand in dem Verfahren behauptet.
Spürbarkeit der Beeinträchtigung ist irrelevant
Vor allem aber hat der BGH klargestellt: Eine „Spürbarkeit“ ist nicht notwendig, um den Verstoß gegen die Preisbindung wettbewerbswidrig zu machen. Ausgangspunkt der Urteilsbegründung ist dabei die Feststellung des Gerichts, dass das Zuwendungsverbot in § 7 Abs. 1 HWG der abstrakten Gefahr begegnen soll, Verbraucher bei der Entscheidung, ob und welche Heilmittel sie in Anspruch nehmen, durch die Aussicht auf Werbegaben unsachlich zu beeinflussen. Zudem sind bei der Abgabe von Rx-Arzneimitteln in der Apotheke die zwingenden Vorschriften des Arzneimittelpreisrechts zu beachten. Die eindeutige gesetzliche Regelung, nach der jede Gewährung einer Zuwendung, die gegen die Preisvorschriften verstößt unzulässig ist, dürfe nicht dadurch unterlaufen werden, dass für einen Verstoß gegen § 7 Abs. 1 Nr. 1 HWG weiterhin eine „Spürbarkeitsschwelle“ angenommen werde, um einen heilmittelwerberechtlichen Wettbewerbsverstoß annehmen zu können. Seit der Novelle des Heilmittelwerbegesetzes im Jahre 2013 geht der Gesetzgeber nämlich davon aus, dass jedwede gesetzliche Abweichung vom Apothekenabgabepreis für Rx-Arzneimittel geeignet ist, einen unerwünschten Preiswettbewerb auszulösen. Er lässt damit der zuvor von einigen Zivilgerichten angenommenen „Spürbarkeitsschwelle“ gerade keinen Raum mehr.
Dies bedeutet, dass es heilmittelwerberechtlich unzulässig ist, Kunden im Zusammenhang mit der Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln Ein Euro-Gutscheine oder Gutscheine für „Wasserwecken oder Ofenkrusti“ zur Verfügung zu stellen.
Und was ist nun mit Traubenzucker?
Und was ist nun mit den in Apotheken üblichen Taschentüchern und Traubenzucker für die Kunden? Im Urteil zu den Brötchen-Gutscheinen wird das Thema angesprochen. Und zwar, als es geht darum geht, ob dieser Gutschein wirklich gegen die Preisbestimmungen verstößt – oder er vielleicht doch nur, wie etwa die Überlassung eines Traubenzuckers oder einer Packung Taschentücher, als „Ausdruck von Kundenfreundlichkeit“ aufgefasst wird. Das Berufungsgericht fand jedenfalls: Es handelt sich beim Gutschein um eine Sachgabe mit einem für den Kunden wirtschaftlichen Wert – und damit werde die Preisbindung unterlaufen. Bloße Kundenfreundlichkeit sei das nicht mehr. Wie der BGH dann ausführt, meinten im Verfahren beide Seiten, allgemein der Kundenbindung dienende Aufmerksamkeiten wie Traubenzucker oder Taschentücher sollten vom Wertreklameverbot bei preisgebundenen Arzneimitteln ausgenommen sein. Doch der BGH stellt klar: Dafür bietet § 7 HWG keine Grundlage mehr. Es bestünden „keine Anhaltspunkte“, dass der Gesetzgeber bei der Ergänzung des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG im Jahr 2013 „abhängig von der Motivation des Werbenden bestimmte Werbegaben vom Verbot hat ausnehmen wollen“. Die Gefahr einer unsachlichen Beeinflussung werde nicht geringer, wenn dem Kunden statt eines zu einem späteren Zeitpunkt einlösbaren Wert-Gutscheins unmittelbar dessen Wert als Sachleistung zukomme, im Fall des Brötchen-Gutscheins also das Brötchen selbst. Und so kommt der BGH zu dem Schluss: Die Gewährung von geringwertigen Werbegaben ist jedenfalls dann, wenn allein preisgebundene Arzneimittel erworben werden, nicht mehr zulässig. Damit sind Taschentücher und Traubenzucker nach der Zuwendungsverbotsalternative zu geringwertigen Kleinigkeiten (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 HWG) passé.
Schlupfloch handelsübliches Zubehör?
Aber: Werbegaben können durchaus noch zulässig sein, wenn eine der sonst in § 7 HWG normierten Ausnahmen vorliegt. Diese betreffen beispielsweise Kundenzeitschriften (Nr. 5). Aber auch „handelsübliches Zubehör zur Ware“ und „handelsübliche Nebenleistungen“. Tatsächlich prüft der BGH sogar, ob ein Brötchen-Gutschein unter diese Ausnahmebestimmung fällt, die nämlich auch dann greift, wenn preisgebundene Arzneimittel im Spiel sind. Doch diese Prüfung ist kurz: Maßgeblich für die Eigenschaft als Zubehör ist eine funktionale Beziehung zur Hauptware – und an der fehlt es beim Brötchen. Eine handelsübliche Nebenleistung ist es auch nicht, denn eine solche müsste geeignet sein, „die Hauptleistung sachlich zu ermöglichen oder zu fördern“. Auch wenn es der BGH hier nicht explizit anspricht und auch gar nicht zu prüfen hat: Das könnte für Taschentücher und Traubenzucker die Lücke sein. Jedenfalls gibt es viele Erkrankungen, bei denen Taschentücher sinnvoll sein können – und bei einigen sicher auch die Extra-Zucker-Dosis.
Ansonsten: Sobald der Kunde auch etwas Rezeptfreies erwirbt, dürfte sich an dem Päckchen Taschentücher keiner stören. Im Zweifel müssen allerdings auch diesen Fall die Gerichte entscheiden.
Anmerkung der Redaktion: Der Text wurde am 16. August 2019 um 15:10 Uhr überarbeitet. Neu gefasst sind insbesondere die Ausführungen im letzten Kapitel („Und was ist nun mit Traubenzucker?“)
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3 Kommentare
Nicht nachvollziehbar
von Jochen Paulus am 25.08.2019 um 11:03 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
nicht nachvollziehbar
von Karl Friedrich Müller am 16.08.2019 um 7:51 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort
AW: nicht nachvollziehbar
von Karl Friedrich Müller am 16.08.2019 um 9:29 Uhr
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