Zeitzeugen berichten

30 Jahre Mauerfall – und bei den Engpässen alles wie früher?

09.11.2019, 09:00 Uhr

Zu DDR-Zeiten nannte man unter anderem Artikel, die örtlich knapp oder nur durch Tausch erhältlich waren, Bückware. Ein Beispiel: das Analgetikum Turivital. ( r / Foto: DAZ / rr)

Zu DDR-Zeiten nannte man unter anderem Artikel, die örtlich knapp oder nur durch Tausch erhältlich waren, Bückware. Ein Beispiel: das Analgetikum Turivital. ( r / Foto: DAZ / rr)


Am heutigen Samstag, dem 9. November, ist es 30 Jahre her, dass die Mauer gefallen ist. Auch viele Apotheker verbinden mit dem Mauerfall und der Wiedervereinigung viele Eindrücke und Erinnerungen. Die Apotheker gehörten zu den Ost-Berufsgruppen, die von der Wiedervereinigung der beiden temporären deutschen Staaten profitiert haben. Wohl wurden die Rahmenbedingungen verändert, aber die Existenzgrundlage blieb erhalten und konnte schnell stabilisiert werden. Die aktuelle DAZ hat dem Thema „30 Jahre Mauerfall“ einen Schwerpunkt gewidmet, in dem dieses Ereignis von verschiedenen Seiten beleuchtet wird, es geht auch um die Lieferengpässe.

Lieferengpässe sind derzeit eines der bestimmenden Themen in bundesdeutschen Apotheken. Auch die Publikumsmedien haben dieses Thema für sich entdeckt. Häufig wird in deren Berichterstattung der ­Vergleich mit den Verhältnissen in der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) gezogen, wo Mangelwirtschaft auf der Tagesordnung stand. Doch wie war es denn damals wirklich?

Zu Zeiten der DDR war der Großteil der Apotheken und Arzt­praxen verstaatlicht. Nur vereinzelt gab es privat geführte Apotheken. Das Sortiment an DDR-Arzneimitteln war übersichtlich. Es gab etwa 2500 Medikamente, pro Wirkstoff nur ein Präparat, meist ohne Umkarton und ohne Packungsbeilage. Die wichtigsten Hinweise wie Inhalt, Anwendung, Dosierung und Haltbarkeit waren auf die Packung aufgedruckt, ebenso der Preis, der über all die Jahre konstant blieb. Die Arzneimittel stammten aus vier Quellen: Entweder sie wurden in der DDR hergestellt, aus den „sozialistischen Bruderländern“ eingeführt, auf Einzelantrag aus kapitalistischen Ländern importiert (Nomen­klatur C) oder als Defektur hergestellt. Die Leiterin Brandenburgischen Apothekenmuseum in CottbusAnnette Schiffner (Abb. 2) erinnert sich: „Eine DDR-Apotheke war immer voll. Vor dem Öffnen um 8 Uhr hatte sich bereits eine Schlange gebildet, die den ganzen Vormittag nicht abriss. Nach einer Mittagspause ging es weiter bis 18 Uhr.“ Neue Ware erhielten die Apotheken nur einmal pro Woche oder alle zwei Wochen durch das nächstgelegene Versorgungsdepot. Die Bestellung wurde akribisch geplant. Erkältungsmittel wurden schon im Sommer geliefert, um vorbereitet zu sein. Hatte das Versorgungsdepot ein Arzneimittel nicht vorrätig, fehlte es allein schon wegen der großen Lieferabstände über einen längeren Zeitraum in der Apotheke.

30 Jahre Mauerfall

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Apotheke konnte eine „Teilverordnung herausschreiben“.

Konnte eine Rezept-Position nicht besorgt werden, war es möglich, in der Apotheke eine „Teilverordnung“ vom ärztlichen Rezept „herauszuschreiben“. Das fehlende Arzneimittel konnte dann in einer anderen Apotheke bezogen werden. Rare Arzneimittel, an die sich Zeitzeugen erinnern, waren beispielsweise Indomethacinum (Indometacin), Rewodina (Diclofenac) und Analgin (Metamizol), aber vor allem auch Präparate der Nomenklatur C. Diese Importe, die unter anderem aus der BRD bezogen wurden, betrafen vorrangig Betäubungsmittel und lebensnotwendige Medikamente wie Berotec® DA, aber auch rezeptfreie Arzneimittel wie Canesten®. Lieferengpässe infolge von Rückrufen habe es nur selten gegeben. Die Umgestaltung des Umkartons konnte die Geduld von Apothekern und Patienten aber schon mehrere Monate auf die Probe stellen. 

Bei Lieferschwierigkeiten halfen sich die Apotheken untereinander aus: Es wurde geborgt und getauscht. Fertigarzneimittelpackungen wurden ausgeeinzelt. Wenn sich die Schubladen leerten, wurde kurzerhand die Abgabe rationiert. Auf Importarzneimittel aus dem kapitalistischen Ausland musste man schlichtweg warten. Im Zweifel entschied der Bezirksapotheker oder Mitarbeiter, die mit der Abwicklung der Nomenklatur C beauftragt waren, wer welches Medikament bekam.

Überbrückung durch Eigenproduktion

Engpässe mit DDR-Arzneimitteln wurden durch das pharmazeutische Personal in vielen Fällen selbst überbrückt – durch Eigenproduktion. Die Ausgangssubstanzen wurden nicht in den einzelnen Apotheken, sondern zentral in der Abteilung Herstellung/Labordiagnostik der Pharmazeutischen Zentren geprüft und dann – langfristig orientiert am Bedarf – verteilt. Je nach Bedarf wurden zur Herstellung der unterschiedlichsten Arzneiformen Babybadewannen-große Fanta­schalen und Brotbackmaschinen eingesetzt. Zäpfchen wurden im Akkord gegossen, zum Beispiel Propyphenazon-Zäpfchen gegen Schmerzen und Fieber, in deren Fall die Eigenherstellung sogar eher die Regel als die Ausnahme war. Der pharmazeutische Sachverstand war stets gefragt. „Es war eine sehr gute fachliche Arbeit“ lautet Schiffners Fazit über die Tätigkeit in einer DDR-Apotheke.

Planwirtschaft bedeutete auch, dass Lieferengpässe nicht überraschend kamen. Die Ärzte wurden zeitnah informiert, sodass sie (wo möglich) gleich etwas anderes verordnen konnten. Zudem war durch die Planung absehbar, wann das Medikament wieder verfügbar sein würde.



Rika Rausch, Apothekerin
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Mauerfall

von Conny am 09.11.2019 um 12:03 Uhr

...zu 99 Prozent positiv. Warum nicht zu 100 Prozent ? Schmidt ist Abda Präsident.

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