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Wer hätte das gedacht, dass es um unseren lieben Apotheken-Botendienst nochmal so einen Hype gibt? Seit ihn Spahn für die Corona-Zeit bis Ende September mit fünf Euro bezuschusst, sind Begehrlichkeiten entstanden. Der Pharmahändler Noweda bietet den Apotheken an, seine Fahrer könnten doch Apothekenbote spielen! Geht nicht, sagt die ABDA, Dritte dürfen da nicht mitspielen. Und Rechtsanwälte finden Gründe pro und contra. Und noch was Rechtliches: Wir wissen, dass Versandhandel nicht gleich Botendienst ist. Aber ein Apothekenbote darf dennoch im Versandhandel eingesetzt werden, sagt das Bundesverwaltungsgericht. Den Corona-Zuschuss gibt’s dafür aber nicht.
27. Juli 2020
Was soll man davon halten: In Sachsen und Thüringen erprobt die AOK plus gemeinsam mit ihren Versicherten und den Kassenärztlichen Vereinigungen einen elektronischen Impfpass. Die Versicherten können ihre Impfungen dort eintragen und diese von ihrem Arzt bestätigen lassen. Über diese Plattform werden die Versicherten auch automatisch an Impftermine erinnert. Der E-Impfpass soll eine der ersten Anwendungen der elektronischen Patientenakte werden. So weit, so fein. Aber, mein liebes Tagebuch, das Projekt hat einen klitzekleinen Haken – Du kannst Dir denken, welchen: Die Apothekers sind nicht dabei, sie haben keinen Zugriff auf den E-Impfpass. Toll, was? Sind wir nur „vergessen“ worden? Oder ist das Absicht? Oder ist das die Rache der Ärzte dafür, dass wir bald Modellprojekte zur Grippeschutzimpfung in Apotheken machen dürfen? Auf Anfrage teilt die AOK plus mit, „dass die Apothekerverbände in Sachsen und Thüringen mit diesem Ansinnen [gemeint sind die Modellprojekte zur Grippeschutzimpfung] noch nicht auf die AOK plus zugekommen sind. Wir sind für Gespräche offen, aber ein zeitnahes Modellvorhaben ist deswegen unwahrscheinlich.“ Wie bitte? Da steht doch die große Frage im Raum: Warum eigentlich sind die Apothekerverbände von Sachsen und Thüringen noch nicht aktiv geworden? Nur als Beispiel: Der Apothekerverband Nordrhein hat schon einen Vertrag über das Modellprojekt in der Tasche, in Bayern wird gerade verhandelt. Warum also sind die Verbände in Sachsen und Thüringen noch so zurückhaltend? Zumal man dort doch eigentlich einen Draht zur AOK plus haben sollte: Die beiden Verbände sind zusammen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen dieser Bundesländer und der AOK plus seit 2014 an ARMIN beteiligt, der Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen. Also nochmal: Warum haben sich die Apothekerverbände von Sachsen und Thüringen nicht um eine Teilnahme am E-Impfpass bemüht? Der Verbandschef von Thüringen, Stefan Fink, sagt auf Anfrage, eine Teilnahme liege „nicht im Sinne der Apothekerschaft“. Mein liebes Tagebuch, ‘tschuldigung, das kann ich nicht verstehen. Fink versucht es damit zu erklären, dass möglicherweise die verwendete Schnittstelle nicht Teil der Gematik-Infrastruktur sei und dadurch würde dann eine Insellösung speziell für die AOK plus geschaffen. Mag sein, mein liebes Tagebuch, doch was sind das für Digitalisierungs-Perspektiven, da muss es doch möglich sein, miteinander zu reden. Ist es denn nicht auch angedacht, dass wir Apothekers Zugriff auf die E-Patientenakte haben sollen – und damit auf den E-Impfpass? Es gibt einen schwachen Lichtblick: Das E-Impfpass-Projekt würde möglichen zukünftigen Modellprojekten mit der AOK plus zur Grippeschutzimpfung in Apotheken aber nicht im Wege stehen, meint Fink. Nun, mein liebes Tagebuch, was soll das bedeuten? „Mögliche zukünftige Modellprojekte?“ Wie lange möchte der Thüringer Apothekerverband noch auf die mögliche Zukunft warten? Bei anderen Verbänden beginnt die Zukunft im Herbst!
28. Juli 2020
Versandhandel ist auch mit Boten zulässig – auf diese Kurzformel lässt sich ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom April zusammenfassen. Und das steckt dahinter: Eine Apothekerin aus Herne unterhält eine Sammelbox für Rezepte und OTC-Bestellungen (also keine offizielle Rezeptsammelstelle) in einem Supermarkt. Apothekenmitarbeiter leeren diese Box regelmäßig. Die Kunden können sich ihre verordneten oder bestellten Arzneimittel in der Apotheke abholen oder sich per Boten kostenfrei liefern lassen. Doch darf die Apothekerin das? Sie darf, entschied letztinstanzlich das Bundesverwaltungsgericht. Denn die Apothekerin verfügt über eine Versandhandelserlaubnis! Für das Gericht macht es dann keinen Unterschied, ob die Auslieferung der Arzneimittel durch externe Dienstleister auf dem Versandweg erfolgt oder per Apothekenbote. Der Begriff des Versands (laut AMG, Apothekengesetz und Apothekenbetriebsordnung) umfasse auch einen Vertrieb, der auf einen Versandhandel im örtlichen Einzugsbereich der Präsenzapotheke ausgerichtet sei und für die Zustellung der Arzneimittel eigene Boten der Apotheke einsetze. Also, es steht einer Apotheke mit einer Versandhandelserlaubnis frei, einen externen Logistiker oder eben einen Boten einzusetzen. Übrigens, das Gericht bekräftigte in seinem Urteil, dass im Versandhandel auch eine Sammelbox (wie hier in einem Supermarkt) in Ordnung ist und nicht mit den Vorschriften zur Rezeptsammelstelle kollidiert, denn die Arzneimittelabgabe über eine Rezeptsammelstelle werde dem Inverkehrbringen „in den Apothekenbetriebsräumen“ zugeordnet. Mein liebes Tagebuch, tja, was sich für unsere lieben Kunden so super einfach und bequem darstellt, wenn ihnen die Apotheke die bestellten Arzneimittel nach Hause liefert, ist logistisch, juristisch apothekenrechtlich ein hochkomplexes und spitzfindiges Paragraphengeflecht. Es kommt drauf an, wo und wie der Kunde seine Bestellung, sein Rezept abgegeben hat. Es sind die kleinen, feinen Unterschiede zwischen Versandhandel und Botendienst, zwischen Sammelbox und Rezeptsammelstelle – ein juristischer Gaumenschmaus.
29. Juli 2020
Also, mein liebes Tagebuch, wir haben gelernt: Arzneimittel können zum Kunden nach Hause mit dem Boten aus der Apotheke geliefert werden, sie können auch mit einem Zusteller eines Logistikunternehmens gebracht werden. Rechtlich übrigens zwei paar Stiefel. Doch damit nicht genug, schon bald könnte es eine dritte Variante geben, nämlich die Zustellung durch einen Fahrer eines Großhandels als Zustellerbote im Auftrag der Apotheke – wenn sich die genossenschaftliche Großhandlung Noweda endgültig dazu entschließt, dieses von ihr ersonnene Modell auf den Weg zu bringen. Denn gegen dieses Modell gibt’s juristische Bedenken und standespolitisch kritische Ansichten. So verweist z. B. der ABDA-Präsident Friedemann Schmidt darauf, dass laut Apothekenbetriebsordnung der Botendienst „aus guten Gründen nur von weisungsgebundenem Personal durchgeführt werden darf, das bei der Apotheke selbst angestellt ist“. Mein liebes Tagebuch, das wiederum sieht der Rechtsanwalt Dr. Morton Douglas, der die Noweda zu ihrem Botendienst-Projekt rechtlich beraten hat, vollkommen anders. Er meint im Interview auf DAZ.online: „Die Apothekenbetriebsordnung (§ 17 Abs. 2 ApBetrO) spricht vom Boten der Apotheke, nicht aber vom Personal der Apotheke.“ Und der Bote könne laut Begründung der Apothekenbetriebsordnung Personal der Apotheke sein oder auch externes Personal, das der Weisungshoheit der Apotheke unterstehe. Mein liebes Tagebuch, wir sehen und lernen, die Interpretationsmöglichkeiten von Bote und Zusteller werden um den Begriff des externen Personals erweitert, falls sich diese Auffassung durchsetzen sollte. Und was ist, wenn die Noweda mit ihrem „externen Personal der Apotheke“ andere Unternehmen animiert, ebenfalls in dieses Geschäft einzusteigen? Für Rechtsanwalt Douglas stellt sich diese Frage nicht, da für andere Unternehmen „eine ganz andere Ausgangssituation“ bestünde. Meint er.
Eine glasklare Meinung dazu hat auch Ulrich Laut, Rechtsanwalt und Hauptgeschäftsführer der Landesapothekerkammer Hessen. Seine Meinung allerdings ist eine vollkommen andere: „Botendienste durch Dritte sind mit der Apothekenbetriebsordnung nicht vereinbar.“ Er interpretiert die Begründung zur Apothekenbetriebsordnung genau anders als Douglas. Für Laut muss es sich beim Boten der Apotheke „um fest angestelltes Personal handeln oder um sogenanntes externes Personal, also sogenannte Leiharbeitskräfte, bei denen allerdings auch ein unmittelbares arbeitsrechtliches Weisungsverhältnis bestehen muss“ – und dies sei bei Fahrern des pharmazeutischen Großhandels nicht der Fall. Meint er. Denn diese Großhandelsfahrer „unterstehen, selbst wenn sie selbstständig wären, der unmittelbaren Weisung des Großhändlers, der ihre Routen festlegt“. Mein liebes Tagebuch, beide Rechtsanwälte Laut und Douglas sehen sich übrigens durch die jüngste Rechtsprechung des oben erwähnten Urteils des Bundesverwaltungsgerichts bestätigt. So amüsant ist das mit Rechtsansichten…, wenn da nicht die wirklich ernste Frage dahinter stünde: Hilft nun das Botendienst-Konzept der Noweda den Apotheken vor Ort – oder ist es ein Einfallstor für unliebsame dritte Player im Markt? Wer mehr dazu wissen möchte, möge sich zum ApothekenRechtTag am 24. September im Rahmen der Online-Interpharm anmelden.
30. Juli 2020
Pilotprojekte, mit denen die ärztliche Videosprechstunde und E-Rezepte erprobt werden, gibt es bereits einige. In Hessen läuft z. B. ein solches Pilotprojekt, initiiert von der Kassenärztlichen Vereinigung: Innerhalb des Ärztlichen Bereitschaftsdiensts (ÄBD) werden Videosprechstunden angeboten unter dem Slogan „Wohnzimmer statt Wartezimmer“. Und wenn im Rahmen dieser Videosprechstunde ein Rezept fällig wird, dann kann der Arzt auch ein E-Rezept ausstellen, das der Patient an eine der derzeit rund 600 teilnehmenden hessischen Apotheken vor Ort zuweisen und dort abholen kann. Fein, mein liebes Tagebuch, dass auch Apotheken eingebunden werden – hätte ja auch wenig Sinn, wenn der digitale Weg bei der Videosprechstunde endete und kein Rezept möglich wäre. Laut Hessischem Apothekerverband freut man sich, in dieses Projekt eingebunden zu sein, auch wenn es in erster Linie ein Ärzte-Telemedizinprojekt mit einem E-Rezeptanhängsel ist und für teilnehmende Apotheken mit ein paar Hürden verbunden ist. Dennoch, mein liebes Tagebuch, es ist gut, wenn wir Gelegenheit haben, Erfahrungen zu sammeln und den Ärzten vermitteln: „Wir können E-Rezept.“
Krieg der Konnektoren! Sie sind der Schlüssel zum Eintritt auf die Datenautobahn, ohne Konnektor kein Zugang zur Telematikinfrastruktur. Damit schon bald nicht nur einige wenige Apotheken die Datenautobahn nutzen können, sondern alle Apotheken ihre Erfahrungen mit den digitalen Strukturen sammeln können, muss die Anbindung unserer Apotheken an die Telematikinfrastruktur so reibungslos und glatt wie möglich laufen und die Technik, vor allem der Konnektor mit aktueller Software, mitspielen. Dieses Elektronik-Kästchen ist das zentrale Portal schlechthin, damit die Apotheke beispielsweise Zugang zum E-Rezept, zum E-Medikationsplan hat. Der Konnektor steht normalerweise in der Apotheke, muss gewartet werden, muss Updates erhalten und darf nicht ausfallen. Und schon gibt’s Wirbel um diese Konnektoren – zumindest von Seiten der Konnektoren-Anbieter. Ein Anbieter, Red Medical, wirbt nämlich damit, dass sein Konnektor selbst gar nicht physisch in der Apotheke stehen muss, sondern die Apotheke an eine „Konnektorenfarm“ angeschlossen werden kann, die sich im Rechenzentrum von Red Medical befindet. Dies soll technische Erleichterungen für die Apotheke bedeuten, eine einfachere Wartung und geringere Kosten. Klar, dass dies den Mitbewerbern auf dem Markt der Konnektoren (z. B. Awinta oder CGM), bei denen dieses Gerät in der Apotheke selbst installiert wird, nicht gefällt. Und so versuchte man die Apotheken zu verunsichern: So ein Cloud-basierter Ansatz eines Konnektors sei fragwürdig, auch hinsichtlich der Gematik-Zulassung. Und überhaupt würden nur Konnektoren, die in der Apotheke stehen, über die GKV refinanziert werden. Mein liebes Tagebuch, alles falsch – der Deutsche Apothekerverband teilt über den Telematik-Experten der ABDA, Sören Friedrich mit, „dass eine Refinanzierung von Komponenten (insbesondere des Konnektors) auch möglich ist, wenn die Endgeräte nur mittelbar in der Apotheke angeschlossen werden. Entsprechend sind die Angebote unter Nutzung von Rechenzentrums-Konnektoren (u. a. auch das Angebot von der Firma Red Medical) refinanzierungsfähig.“ Also, mein liebes Tagebuch, alles im grünen Bereich. Und ein Blick auf die Kosten zeigt, dass man mit dem Konnektor außerhalb der Apotheke möglicherweise günstiger fährt. Also, ob man sich für einen Konnektor in der „Farm“ oder für ein Gerät in der Apotheke entscheidet, bleibt jeder Apotheke selbst überlassen – und es ist sicher auch ein Stück weit eine Mentalitätsfrage. Schade nur, dass Awinta und CGM für Verunsicherung sorgten, wo doch alles eh schon so kompliziert ist.
31. Juli 2020 und 1. August 2020
Das Corona-Virus macht keine Sommerpause. Leider schwindet die Disziplin in der Bevölkerung, die AHA-Regeln (Abstand-Hygiene-Alltagsmasken) zu beachten. Steigende Infektionszahlen sind der Beleg dafür in Deutschland und Europa. Manche sprechen schon davon, dass eine zweite Welle auf uns zurollt – die sich nur vielleicht noch stoppen lässt. Der „Spiegel“ schreibt in seinem Morgen-Newsletter: „Ja, wir sind dieser Krise überdrüssig. Einer Umfrage des Robert-Koch-Instituts und der Uni Erfurt zufolge halten es aktuell nur noch 16 Prozent der Deutschen für ‚extrem oder eher wahrscheinlich‘, sich mit Corona zu infizieren. Dieser Wert war schon mal doppelt so hoch.“ Mein liebes Tagebuch, eine alarmierende Entwicklung!
Und dann die Berliner Corona-Demo am Samstag in Berlin! Da ich zufällig in Berlin war, konnte ich sie vom Straßenrand aus beobachten: haaresträubend! Laut Polizei nahmen bis zu 17.000 Menschen daran teil. Sie demonstrierten ohne Abstandsregeln einzuhalten, ohne Masken zu tragen gegen die Corona-Auflagen. Angefeuert durch Lautsprecherwagen riefen die Demonstranten „Freiheit“, „Widerstand“ und beklagten die Einschränkung der Menschenrechte durch die Corona-Auflagen. „Die größte Verschwörungstheorie ist die Corona-Pandemie“ skandierten die Anführer der Demo. Mein liebes Tagebuch, diese Ignoranz und Dummheit war nicht zu ertragen. Rund 1100 Polizisten sollen im Einsatz gewesen sein. Wie die Polizei mitteilte, wurde umgehend Strafanzeige gegen den Veranstalter gestellt, worauf dieser dann den Demo-Umzug beendete. Doch das war nicht die einzige Anti-Corona-Demo. Am Nachmittag sollte dann noch auf der Straße des 17. Juni eine weitere Anti-Corona-Demo stattfinden unter dem Motto „Das Ende der Pandemie – Tag der Freiheit“, zu der die Coronaleugner-Initiative „Querdenken 711“ aus Stuttgart aufgerufen hatte. Laut dem Sender RBB soll allerdings auch die Straße des 17. Juni geschlossen worden sein, da sich dort zu viele Menschen befanden.
Mein liebes Tagebuch, die Corona-Epidemie lässt sich auch als ein riesiges Experiment sehen: Wie bewegt man die Bevölkerung zur Einsicht, sich vor dem Virus schützen zu müssen? Und das für lange Zeit – nämlich mindestens solange, bis ein wirksamer Impfstoff gefunden ist. Vielleicht sollten das auch die Politiker (noch) einmal deutlich sagen.
4 Kommentare
Schockierend
von Andreas Kolb am 03.08.2020 um 18:20 Uhr
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Botendienst
von Stephan Garrecht am 03.08.2020 um 17:17 Uhr
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Kommentare
von Conny am 02.08.2020 um 19:52 Uhr
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Teelicht oder Fackel
von Ulrich Ströh am 02.08.2020 um 8:43 Uhr
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