Die letzte Woche

Mein liebes Tagebuch

13.09.2020, 08:00 Uhr

Jetzt geht's weiter mit dem Stärkungsgesetz für unsere Vor-Ort-Apotheken. Stärkung? (Foto: Alex Schelbert)

Jetzt geht's weiter mit dem Stärkungsgesetz für unsere Vor-Ort-Apotheken. Stärkung? (Foto: Alex Schelbert)


Der Höhepunkt dieser Woche: Das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz hat es in die erste Lesung des Bundestags geschafft. Unser Bundesgesundheitsminister sagt: Der Name ist Programm. Mein liebes Tagebuch: Was noch zu beweisen wäre. Und währenddessen arbeitet Zur Rose mit DocMorris an einer Internetplattform und am Paradigmenwechsel: Ärzte verdienen am Medikamentenverkauf. Hier bringt auch ein IGES-Gutachten nicht wirklich Unterstützung für uns Apothekers – aber es zeigt, wie fragil die flächendeckende Versorgung ist: Wenn noch weitere Apotheken schließen müssen, dann heißt es: Husten, wir haben ein Problem – mit der Nahversorgung. 

7. September 2020

Das Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz (VOASG) steht in dieser Woche auf der Agenda des Bundestags. Nach über einem Jahr Stillstand soll dieser Gesetzentwurf weiter behandelt werden. Stillstand? Ganz so still war’s um dieses Gesetz dann doch wieder nicht, im Gegenteil. Wenn man seine Entwicklung im vergangenen Jahr verfolgt, scheint es für das Bundesgesundheitsministerium eines der eher schwierigeren Gesetze zu sein. Sein Herzstück ist die Gleichpreisigkeit der verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die Jens Spahn über ein Rx-Boni-Verbot für den GKV-Markt regeln möchte – aber die lässt sich vor dem Hintergrund des EuGH-Urteils wenn überhaupt nur mühsam erhalten. Jens Spahn will es mit dem Rx-Boni-Verbot versuchen. Und da er sich selbst nicht sicher war, ob das möglich ist, legte er sein Gesetz vorsorglich schon mal der EU-Kommission zur Beurteilung vor, die prüfen sollte, ob es europakonform sei. Und so verzögerte sich die weitere Bearbeitung des Gesetzes. Zum Glück gliederte das BMG einige Vorhaben des Apothekenstärkungsgesetzes aus und regelte sie separat über die Apothekenbetriebsordnung und Arzneimittelpreisverordnung. Wir erinnern uns: So wurde z. B. der Botendienst liberalisiert und eine telepharmazeutische Beratung ist möglich. Ausgegliedert wurde auch das kleine Honorarplus für den Notdienst und die BtM-Doku. Die Modellversuche zur Grippeschutzimpfung durch Apotheken wanderten ins Masernschutzgesetz, das ab März 2020 gilt. Und das Makelverbot brachte er mit dem Patientendaten-Schutzgesetz auf den Weg. So konnten wenigstens einige Punkte des VOASG vor dem EU-Stau gerettet werden. Also, jetzt soll’s bald weitergehen mit dem eigentlichen VOASG: mit der geplanten Verankerung der Rx-Preisbindung für den GKV-Bereich und mit den honorierten pharmazeutischen Dienstleistungen. Hinzu kommen einige Änderungen z. B. im BtM-Gesetz und in der Apothekenbetriebsordnung. In letzterer ist eine Änderung versteckt, die dem Namen des Gesetzes, nämlich die Stärkung der Vor-Ort-Apotheken, so gar keine Ehre machen dürfte: Unter bestimmten Bedingungen sollen nämlich automatisierte Ausgabestationen von Versandapotheken grundsätzlich zulässig sein. Mein liebes Tagebuch, da muss sich noch was tun. Unbedingt! Selbst die Bundesländer würden diese Regelung lieber gestrichen sehen. Die ABDA hat sich übrigens mit einer aktuellen Stellungnahme zum VOASG zu Wort gemeldet und weitere Klarstellungen und  Ergänzungen für eine bessere Apothekenreform gemacht.

8. September 2020

Die Forderung ist gut und mehr als berechtigt: Wir brauchen ein Lieferkettengesetz in Deutschland, fordert Sylvia Gabelmann, Arzneimittelexpertin der Linksfraktion im Bundestag. Nach Ansicht von Gabelmann tut die Bundesregierung zu wenig, um Missstände bei der Arzneimittelproduktion in Drittstaaten zu unterbinden. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken lässt die Bundesregierung erkennen, sie gehe davon aus, dass z. B. die Krankenkassen bei der Vergabe von Rabattverträgen qualitative Merkmale wie beispielsweise Sozial- und Umweltstandards, berücksichtigen könnten. Schön wär’s, mein liebes Tagebuch. Und Gabelmann,  die von Haus aus Apothekerin ist, weiß, dass das nicht funktioniert. Sie ist überzeugt, dass es bei der Bundesregierung anscheinend kein großes Interesse gibt, die zum Teil unerträglichen Missstände bei vielen Produktionsstätten in Drittstaaten zu beheben. Verstöße gegen Vorschriften der Guten Herstellungspraxis, gegen Umweltauflagen und gegen Menschenrechte nähmen zu, so Gabelmann, aber die Bundesregierung handelt nicht. Mein liebes Tagebuch, ehrlich gesagt, ich frage mich auch schon seit Langem, warum hier nichts passiert, das ist doch, mit Verlaub, eine Sauerei, wenn Arzneimittel in drittklassigen Küchen hergestellt werden, ohne unsere Vorschriften und die Umweltauflagen zu beachten. Die Bundesregierung muss hier handeln und darf das nicht den Krankenkassen überlassen. Sie muss die Krankenkassen dazu verpflichten, nur solche Rabattverträge zu akzeptieren, bei denen nachweislich die Arzneimittel nach unseren Regelungen hergestellt werden. Derzeit gibt es im Rahmen der Rabattverträge von Krankenkassen mit Arzneimittelherstellern keine gesetzliche Verpflichtung, dass sich die Hersteller an Vorgaben zur Einhaltung von Sozial- und Umweltstandards zu halten haben. Und die Bundesregierung macht bisher keine Anstalten, das zu ändern. Gabelmann: „Offenkundig fehlt da bei der Bundesregierung der Wille.“ Ihr Appell: „Ohne echtes Lieferkettengesetz geht es nicht!“ Richtig, mein liebes Tagebuch.

9. September 2020

Der Zur Rose-Konzern mit der Arzneiversandhaustochter DocMorris scheint wild entschlossen zu sein, sich für einen möglichen Einstieg von Amazon in den Arzneimittelmarkt zu wappnen. So beobachtet der Schweizer Konzern die Aktivitäten von Amazon auf dem Arzneimittelmarkt nicht zu Unrecht mit größtem Argwohn. Amazon kündigte beispielsweise an, mit der Marke „Amazon Pharmacy“ in Kanada, Australien und Großbritannien aktiv werden zu wollen, in Indien gründete das Versandhaus eine Online-Apotheke und es gibt Anzeichen, dass Amazon Ambitionen hat, auf dem europäischen Apothekenmarkt aktiv zu werden. Zur Rose will mit seiner geplanten Apotheken-Plattform, bei der die deutschen Vor-Ort-Apotheken mitmachen sollen, dagegen halten – nun ja, mein liebes Tagebuch, da fragt man sich doch, ob und wie viele deutsche Vor-Ort-Apotheken sich freiwillig in die DocMorris-Fänge begeben – denn immerhin sind auch einige deutsche Apotheken-Plattformen angetreten und im Entstehen, die sicher besser und effektiver die Interessen unserer Vor-Ort-Apotheken vertreten als DocMorris. Nun ja, Zur Rose glaubt jedenfalls daran. Und schwelgt schon in neuen Expansionsträumen: eine Fusion mit der zweitgrößten Versandapo Europas, der Shop Apotheke Europe. Und, mein liebes Tagebuch, was passiert, wenn Amazon seine Fangarme nach der Zur Rose-Gruppe ausstreckt und den Aktionären ein „unmoralisches“ Angebot macht? Da kann sich viel tun. Zur Rose-Chef Walter Oberhänsli jedenfalls geht davon aus, dass die Coronakrise einen Paradigmenwechsel auslöse: „Sie  beflügelt die Akzeptanz für den Bezug von Arzneimitteln per Versand.“ Damit könnte er, mein liebes Tagebuch, so falsch nicht liegen. Aber da halten wir dann mit unserem Botendienst dagegen. Und diese Art von Same-Day-Delivery schafft keine Zur Rose und kein Amazon.

10. September 2020

Lang erwartet, jetzt liegt’s vor, gerade noch rechtzeitig (oder absichtlich?) vor den Beratungen zum Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz: das ökonomische Gutachten zum Apothekenmarkt, angefertigt vom IGES-Institut, einem unabhängigen, privatwirtschaftlichen Forschungs- und Beratungsinstitut für Infrastrukturfragen, erstellt im Auftrag des Bundesgesundheitsministeriums. Gedacht war es wohl, um Argumente zur Verteidigung des Rx-Boni-Verbots zu bekommen. Auf knapp 90 Seiten befasst sich die Studie allerdings nicht mit juristischen Fragen, es gibt keine Betrachtungen, wie die Preisbindung europarechtlich zu rechtfertigen ist und wie ein Boni-Verbot durchsetzbar ist. Die deutsche Preisbindung wird nicht infrage gestellt, aber auch nur kurz gerechtfertigt. Im ersten Teil wird unser Apothekensystem und die wirtschaftliche Situation der Apotheken beschrieben. Der zweite Teil sind modelltheoretische Betrachtungen zur Preisbindung. Betrachtet wird auch der Einfluss des E-Rezepts. DAZ-Wirtschaftsredakteur Dr. Thomas Müller-Bohn kommt zu dem Schluss: „Das Gutachten zeigt, dass die flächendeckende Versorgung wichtig ist, dort aber Lücken drohen. Außerdem lässt es Sympathie für das Rx-Boni-Verbot erkennen. Doch das Gutachten bekräftigt auch die derzeit viel zitierte Aussage, dass das E-Rezept zum ‚Gamechanger‘ wird“ (empfehlenswert ist auch der Kommentar von Müller-Bohn dazu). Also, mein liebes Tagebuch, das Gutachten liest sich relativ unaufgeregt, es liefert viele Daten und Ideen, stellt keine politischen Forderungen auf und überlässt mögliche Konsequenzen den Leserinnen und Lesern. Wenn sich die Abgeordneten des Bundestags über die Situation der Apotheken, über Auswirkungen und Szenarien ein Bild machen wollen – das Gutachten liefert Grundlagen dafür, lässt den Leser allerdings auch ein Stückweit damit allein, was er mit diesen Daten und Ideen anfangen soll. Schön, kann man nun meinen, was soll’s. Aber vielleicht hätte das  Gutachten die Chance gehabt, einen Beitrag zur Frage zu leisten: Wie viele Apotheken überleben langfristig ohne eine sichere Grundlage für ihre Preise? Eine Antwort auf diese Frage lässt sich da leider kaum finden.


Für den CDU-Politiker Michael Hennrich allerdings war das Gutachten eine erhellende Lektüre. Auch wenn es selbst kein eigentliches Fazit ausweist, zieht Hennrich sein persönliches Fazit aus dem Gutachten, nämlich: „Ein Rx-Boni-Verbot ist machbar.“ Außerdem nimmt er noch drei weitere Erkenntnisse aus dem Gutachten mit: „Das E-Rezept führt zu einem Wettbewerbswandel. Die Entwicklung der OTC-Rabatte im Versand bleibt dynamisch und schwierig. Und pharmazeutische Dienstleistungen werden immer wichtiger für die Apothekenzukunft.“ Ja, mein liebes Tagebuch, kann man nur zum Teil so unterschreiben. Denn ob ein Rx-Boni-Verbot wirklich machbar ist, wird sich erst noch zeigen müssen – da könnten sich Entwicklungen im Markt ergeben, die zu juristischen Auseinandersetzungen führen und das Rx-Boni-Verbot am Ende doch aushebeln könnten. Und ob pharmazeutische Dienstleistungen immer wichtiger werden? Da kommt es sehr darauf an, was genau wir unter diesen Dienstleistungen verstehen und wie sie letztlich honoriert werden.


Eher kritisch sieht es die Gesundheitspolitikerin der Linke, Sylvia Gabelmann. Sie ist überzeugt, dass es mit dem IGES-Gutachten zum Apothekenmarkt nicht gelingen wird, den kommenden Streit mit EU-Kommission und EuGH für eine deutsche Preisbindung zu bestehen. Ein Scheitern des Rx-Boni-Verbots spätestens vor dem EuGH ist aus Gabelmanns Sicht vorprogrammiert. Und was sagt die ABDA zum Gutachten? Sie zeigt sich erstmal zurückhaltend, sehr zurückhaltend. Fritz Becker, Chef des Deutschen Apothekerverbands meint, aus dem Gutachten lässt sich ablesen, dass die Vor-Ort-Apotheke derzeit gegenüber dem Versandhandel systematisch benachteiligt werde. Daher müssten Boni und Rabatte, die die bundeseinheitliche Preisbindung unterlaufen, wieder untersagt werden. Und er ist auch der Überzeugung, dass mit dem E-Rezept ein „ungewolltes Versandhandels-Konjunkturprogramm“ aufgelegt werde. Die ABDA wird sich daher „konstruktiv und kritisch in den Gesetzgebungsprozess zum Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz (VOASG) einbringen“. Nichts anderes erwarten wir.


Und es gibt weitere Reaktionen auf das IGES-Gutachten. Unter anderem von der gesundheitspolitischen Sprecherin der SPD-Fraktion im Bundestag, Sabine Dittmar. Sie meint zwar, dass das Gutachten „keine großartigen neuen Erkenntnisse“ geliefert habe. Allerdings liest sie aus dem Gutachten heraus, dass die flächendeckende Arzneimittelversorgung durch die Präsenzapotheken in Deutschland nicht in Gefahr sei. Mein liebes Tagebuch, da hat sie wohl ein bisschen oberflächlich drüber geguckt. Denn schaut man wirklich genau auf die Versorgungssituation, auf die Erreichbarkeit von Apotheken, dann erkennt man, dass vielerorts die Versorgung tatsächlich nur noch an einer einzigen Apotheke hängt. Und das ist kein Einzelphänomen an besonderen Standorten, sondern die Durchschnittssituation auf dem Lande, in kleinen Städten und in den Randbereichen städtischer Kreise. Liebe Frau Dittmar, ihr Fazit müsste also lauten: Die flächendeckende Arzneimittelversorgung durch die Präsenzapotheken in Deutschland ist NOCH nicht in Gefahr. Denn, mein liebes Tagebuch, wenn die Schließungen von Apotheken so schnell weitergehen wie bisher, haben wir ein Problem mit der Erreichbarkeit der nächsten Apotheke, vor allem auf dem Land und in Kleinstädten. Die Wege zur nächsten Apotheke würden für die Patienten empfindlich länger. Also, wenn unsere Vor-Ort-Apotheken noch weiter geschwächt werden, entstehen Versorgungslücken; die gewohnte und gewünschte Versorgung wäre nicht mehr gegeben.

 

„Neues Apotheken-Gesetz macht Aspirin teurer“ haut die BILD als Schlagzeile raus. Wie, was? Haben wir was übersehen? Nein, das Boulevardblatt blickt nicht durch, hat da wohl etwas missverstanden und liegt schräg daneben. Das Dumme ist nur, dass dadurch die Bevölkerung verunsichert wird. Also, BILD greift die Bundestagsberatung zum Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG) auf und erklärt seinen Leser*innen, dass das VOASG den  ausländischen Versandhandel zwingen soll, sich an die in Deutschland geltende Preisbindung für rezeptpflichtige Arzneimittel zu halten. Und dann nimmt BILD das IGES-Gutachten zur Hand und glaubt herausgelesen zu haben, „dass die Apotheker die Preise für frei verkäufliche Arzneien (u. a. Schmerztabletten wie Aspirin, Hustensäfte, Nasensprays) um rund ‚ein Viertel’ anheben werden, wenn der Versandhandel ihnen keine Konkurrenz mehr mit Rabattaktionen machen darf“. Oh je, mein liebes Tagebuch, ganz abgesehen davon, dass Aspirin, Hustensäfte und Nasensprays keine „freiverkäuflichen Arzneimittel“ sind, wirft BILD die Preisgestaltung von OTC und Rx in einen Topf. Aber zum Glück haben wir unsere ABDA, die sich da sofort zu Wort gemeldet hat und klarstellt: „Es ist schlichtweg Unsinn, dass die Preise von Schmerzmitteln und anderen rezeptfreien Medikamenten in Folge des VOASG steigen werden“, erklärt der ABDA-Präsident. „Das VOASG bezieht sich nur auf rezeptpflichtige Arzneimittel, deren Preise in Deutschland ohnehin reguliert sind. Auch ausländische Versandhändler sollen sich dem Gesetz zufolge künftig an deutsches Recht halten.“ Und er sagt auch, dass es bei rezeptfreien Arzneimitteln seit vielen Jahren einen freien Preiswettbewerb zwischen den Vor-Ort-Apotheken und Versandapotheken gebe, den es natürlich auch weiterhin gebe. So ist es, mein liebes Tagebuch – nur wurde aus diesem Statement  leider kleine BILD-Schlagzeile. Aber dafür kann die ABDA nichts.

11. September 2020

Ja, jetzt ist der Teleclinic-Zur-Rose-Deal endlich im Bundesgesundheitsministerium angekommen. Die AG Gesundheit der Unionsfraktion im Bundestag hat darum gebeten, die Folgen des Teleclinic-Zur-Rose-Deals mit Blick auf das Zuweisungsverbot rechtlich zu prüfen. Das wird nun geschehen. Was dabei genau im Mittelpunkt der Prüfung stehen wird, ist bisher noch nicht bekannt. Möglicherweise eben diese Verschmelzung von Arzneimittelverschreiber und -händler unter einem wirtschaftlichen Dach und/oder die Tatsache, dass Teleclinic-Rezepte aktuell von nur einer Apotheke beliefert werden können.

 

Der Teleclinic-Zur-Rose-Deal bringt dem Telemedizin-Anbieter Teleclinic nun noch weiteren juristischen Ärger. Die fernbehandelten Patienten können ihre Rezepte nämlich nur noch sehr eingeschränkt einlösen. Nur eine Apotheke in der Nähe von Stuttgart steht noch zur Verfügung. Das führt zum Teil zu dramatischen Situationen, wie ein aktueller Fall zeigt: Ein nach einer telemedizinischen Behandlung ausgestelltes Rezept für eine dringende Akutversorgung hätte eigentlich nur bei dieser Apotheke eingelöst werden können. Nur durch das Engagement von Apotheker Thomas Grittmann, Park-Apotheke in Miltenberg, konnte geholfen werden. Grittmann will nun das Gebaren von Teleclinic nicht hinnehmen. Mit Unterstützung der Noweda geht er mithilfe des Anwalts Morton Douglas gegen TeleClinic vor. Die Forderung: Solange Rezepte von Teleclinic-Ärzten nicht in allen Apotheken Deutschlands eingelöst werden können, sollen diese Telemediziner keine Rezepte mehr ausstellen dürfen. Da Teleclinic nicht auf die Abmahnung reagierte, kommt es im Oktober zur mündlichen Verhandlung über den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung. Da gibt’s noch mehr Ärger.

 

Es hat sich schier unendlich lange hingezogen, nun war es also endlich soweit: 14 Monate, nachdem das Kabinett unser VOASG beschlossen hatte, stand die Erste Lesung im Bundestag an. Und die Fraktionen konnten sagen,  was sie von diesem Gesetz halten. Doch bevor es ins Eingemachte ging, gab’s ein dickes Dankeschön von Jens Spahn für uns Apothekers, für PTA, für PKA und überhaupt alle Apotheken-Mitarbeiter*innen. Sie hätten in den vergangenen Corona-Wochen eine „Wahnsinnsarbeit“ geleistet. So isses, mein liebes Tagebuch, gut dass es mal im Bundestag gesagt wurde – und übers Dankeschön freuen wir uns. Ja, und dann zur Sache: Unser Bundesgesundheitsminister sieht im Apothekenstärkungsgesetz tatsächlich ein Gesetz, das die Apotheken stärkt, der Name sei Programm. Und das E-Rezept sei angestoßen, es gebe klare Regeln und der Patient entscheide, welche Apotheke sein Rezept bekommt. Tja, mein liebes Tagebuch, warten wir ab, was am Ende wirklich dabei herauskommt und inwieweit die ausländischen Arzneiversandhäuser die E-Rezepte abgreifen. Ich kann mich des Eindrucks nicht verwehren, dass an der niederländisch-deutschen Grenze bereits Goldgräberstimmung herrscht.

Immerhin versprach der Bundesgesundheitsminister fairen Wettbewerb bei den Preisen: „Kein Wildwest mehr beim Bonus“ (allerdings nur in den Fällen, in denen die GKV zahlt). Und bis zum nächsten EuGH-Urteil.

Und das waren weitere Reaktionen in der Bundestagssitzung: Für Sabine Dittmar, gesundheitspolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, ist das VOASG allemal besser als ein Rx-Versandhandelsverbot. Es müsse wieder gleich lange Spieße zwischen EU-Versendern und inländischen Apotheken geben. Fraglich, mein liebes Tagebuch, ob die Spieße durch das VOASG wieder gleich lang werden. Die Bundestagslesung zeigte auch, dass es nach wie vor Anhänger des Rx-Versandverbots gibt: Für Emmi Zeulner (CSU) ist es noch immer der Königsweg, um die Gleichpreisigkeit zu garantieren. Und Gesundheitspolitiker Michael Hennrich gestand, dass er tief im Herzen“ Anhänger des Verbots sei – aber damit wohl ein Stück weit „old fashioned“. Auch die Linksfraktion bekannte sich zum Rx-Versandverbot ebenso wie die AfD-Fraktion. Dagegen können FDP und Grüne weder mit einem Rx-Versandverbot noch mit einer sozialrechtlichen Rx-Boni-Lösung etwas anfangen. Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) ist sogar überzeugt, dass das VOASG EU-rechtswidrig sei und zu Schadenersatzforderungen gegen Deutschland führen könne. Dass die EU-Versender im VOASG über das Sozialrecht an die Festpreise gebunden werden sollen, sei ein „Taschenspielertrick“. Und die Grüne Kordula Schulz-Asche sieht darin sogar eine juristische Finte. Sie hätte lieber eine bessere Vergütung für die pharmazeutische Beratung statt einer ausschließlichen Abhängigkeit des Honorars von der Packungsabgabe – das sei für sie wesentlich für die Zukunft der Apotheken. Mein liebes Tagebuch, ja, das sind sie, die unterschiedlichen Meinungen und Ansichten, immer wieder schön. Was noch besonders bemerkenswert war: Michael Hennrich sprach im Bundestag auch den Teleclinic-Kauf durch Zur Rose an: Hier werde die seit 780 Jahren geltende Regel durchbrochen, dass Ärzte nicht am Medikamentenverkauf verdienen sollen, dies sei ein „fundamentaler Paradigmenwechsel“. Er wünscht sich, dass eine Regelung gefunden wird, dieses Thema zu beenden. Mein liebes Tagebuch, das wünschen wir uns auch. Dringend!



Peter Ditzel (diz), Apotheker / Herausgeber DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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5 Kommentare

Weichenstellung ...

von Reinhard Herzog am 13.09.2020 um 14:42 Uhr

Hatte es nicht einmal geheissen:
Lieber kein Gesetz als ein schlechtes Gesetz?

Welchen Knopf muss man jetzt noch drücken, um das VOASG auf den Abstellplatz zu befördern?

Das ist doch so gespickt mit juristischen Feinsinnigkeiten und Fallen - das lässt man doch in dieser Sachlage lieber mal sein.

Was verbessert sich denn substanziell dadurch?
Die Dienstleistungen werden sich als veritables Kuckucksei entpuppen, die neuen Preisregelungen werfen mehr Fragen auf als sie beantworten, die Zuweisung von Rezepten ist auch heute schon geregelt ...

Neuer Anlauf in 2022 in anderer Regierungskonstellation, wobei die Schnittmenge zu den Grünen als wahrscheinlicher neuer Regierungspartner wohl viel größer ist als zur jetzigen SPD. Außerdem sollte dann Corona mitsamt seiner Auswirkungen halbwegs durch sein, sodass man einfach seriöser planen kann.
Im Verlaufe von 2022 dann wirklich eine Apothekenreform mit Hand und Fuß, gerne auch unter Abwurf von manch Ballast.

Haben wir v1 auf der Startpiste des VOASG schon überschritten, oder ist ein Startabbruch noch möglich?
Und dann bitte einfach Mut ...

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AW: Knöpfe drücken, net luschig sein

von Wolfgang Müller am 13.09.2020 um 20:12 Uhr

Faszinierend, das Ganze. Schön, dass wenigstens auch Sie sich das so DEUTLICH anzusprechen trauen!

Immerhin sind die aktuellen Papiere des AVWL und sogar der ABDA auch keinesfalls anders zu verstehen, als dass dieses VOASG noch unbedingt abgewendet werden muss. Weil es sich einfach inzwischen als sowieso schon schlecht gemachter, aber eben vor Allem auch: von der Zeit komplett überholter Ramsch erwiesen hat.

Diesen Lernprozess hat sich nun also auch die ABDA zugebilligt. Trotz ihres sehr komplexen, zu prätentiöser Trägheit geradezu zwingenden, damit auch grundsätzlich ein wenig entschuldbaren organisatorisch bedingten Gruppenzwanges.

Der AVWL hat meiner Erinnerung nach sogar von Anfang an klar gegen das VOASG und stattdessen für einen erneuten Gang vor den EuGH plädiert. Hat also von Allen die aktuell eindeutig beste Legitimation, die Führung in diesem Elend zu übernehmen; was eben auch die zu drückenden Knöpfe beträfe. Denn irgendjemand "bei uns da oben" muss ja nun Spahn auch mal KLAR, wenn auch diplomatisch, sagen: "Schluss mit dem Quatsch".

Wobei sich die ABDA bei erneutem Spahn´schem Fauchen im Zweifelsfall ja leider immer noch in hochnotpeinlich allerbeflissenste, quälende Diskussionen begeben könnte - trotz dieses aktuellen, bemerkenswerten Papieres: Sich wider alle Vernunft doch lieber nochmal kleinlaut zu einem "VOASG um wirklich jeden Preis" zu entscheiden.

Weil da ja "Dienstleistungen" als unwiderstehliches Suchtmittel drinstehen. Und dies ja jetzt eine "einmalige" Chance dafür sein könnte, "dieses Fenster ist vielleicht nur kurz offen", blabliblub.

Also, da muss jetzt mal jemand richtig ran gehen/auf den Tisch hauen, der/die im Gegensatz z. B. zu uns beiden Schlaumeiern a) bereits ein passendes Amt hat (also mindestens: Verbandsvorsitzende/r) und b) "net luschig" ist, wie mein Doktorvater zu sagen pflegte.

Kollateralschaden

von Reinhard Rodiger am 13.09.2020 um 13:50 Uhr

Apotheken sterben als kollaterale Folge bester Intentionen.Eine davon ist die Herstellung gleich langer Spieße für die mit den niedrigen Margen und denen mit höheren Margen und weniger Arbeit.Dazu findet sich nichts Konkretes. Vielmehr wird verzögert und das Naheliegende missachtet.Das ist die Einhaltung deutscher Rechtsprechung.Es muss sichergestellt sein,dass deutsche Gesetze auf die ausländischen Firmen mit höheren Margen und weniger Arbeit (Hollandversand) angewendet und durchgesetzt werden.
Das wird jedoch seit Jahren vermieden.Das ist das eigentliche Wild-West.Der Skandal ,der durch die irreführende Bezeichnung Apothekenstärkungsgesetz unsichtbar gemacht wird.

Es ist ein Meisterstück von Spahn durch einfache Umettikettierung abzulenken.Schade,dass das vom Bundestag anscheinend nicht beachtet wird.

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Komplette und komplexe Unwissenheit über die Deutsche Apothekenlage im Bundestag

von Heiko Barz am 13.09.2020 um 11:54 Uhr

Ja wie denn nun, Frau Dittmer, was sind denn bei ihnen „gleichlangen Spieße“?
Es kann keine „gleichlangen Spieße“ geben, solange die Deutschlandrechtlich inakzeptablen Arzneimittelversender aus Holland ihr unkontrolliertes Unwesen an den Deutschen Patienten ungestraft begehen. Und die verantwortungslosen K-Kassen spielen wie immer leider sehr vordergründig mit.
Ich bin eigentlich erschüttert über den offensichtlichen Phlegmatismus der Deutschen Gilde der sogenannten Pharmazieräte. Die meisten von denen sind selbstständige Kollegen, die Tag für Tag mir ansehen müssen, wie Deutsches Apothekenrecht und die APO-Betriebsverodnung von den Holländern mit Füßen getreten werden. Die Apothekenüberwacher, die ja untereinander gut vernetzt sind, könnten dem BMG und Spahn erklären, wie man den „Wildwest-Manien“ von D.Morris und Co mit breiter Brust Einhalt gebieten kann. Aber auf dem Feld rühret sich leider gar nichts. Es ist ja auch viel einfacher, die Coronavorschriften bei der Deutschen Basis Apotheke flächendeckend zu überwachen und die nötigen Monita zu erstellen.
Zurück zu Frau Dittmer, ich behaupte, dass ihr Spruch von den „gleichlangen Spießen“ völlig substanzlos ist, denn wenn sie diesen Spruch analysieren würde, dann müßte sie zum Wohle der Deutschen Patienten das —RXVV — bedingungslos fordern. Selbst die Bühlersche Petition kam bei der CSU-Frau in den Vordergrund. Da wird wohl die Mannschaft aus der Heidestrasse wieder Schüttelfrost bekommen haben.
Es gibt für das komplexe Dilemma nur einen Goldstandart zu Lösung und das ist das uneingeschränkte —- RXVV —- ,dass von 21 EU-Ländern ohne den geringsten juristischen EU-Druck zu Wohle ihrer Patienten und völlig unaufgeregt durchgeführt wurde. Was dagegen haben wir eigentlich falsch gemacht? Herr Spahn!

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von Anita Peter am 13.09.2020 um 8:18 Uhr

Wenn zukünftig pharmazeutische Dienstleistungen ( was immer das sein soll... das wissen ja weder ABDA noch die Politik ) die flächendeckende Versorgung sichern sollen und so ein weiteres Apothekensterben verhindert werden soll, dann wird man da einen Mrd-Betrag (!!) reinpumpen müssen. Denn Non RX und zukünftig auch RX wird weiter massiv in den Versand abwandern.

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