AKNR vs. DocMorris

EuGH: Auch für EU-Versender gibt es bei der Werbung Grenzen

Berlin - 15.07.2021, 11:00 Uhr

Der EuGh hat entschieden: Auch EU-Arzneimittelversender dürfen nicht unbeschränkt um Kunden buhlen. (Foto: IMAGO / Patrick Scheiber)

Der EuGh hat entschieden: Auch EU-Arzneimittelversender dürfen nicht unbeschränkt um Kunden buhlen. (Foto: IMAGO / Patrick Scheiber)


Die Apotheken in Deutschland können aufatmen: Mag sich DocMorris auch nicht an das deutsche Arzneimittelpreisrecht halten müssen – die Zugabeverbote des Heilmittelwerbegesetzes muss auch der niederländische Arzneimittelversender beachten, sie stehen dem europäischen Recht nicht entgegen. Das hat heute der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem von der Apothekerkammer Nordrhein geführten Verfahren entschieden. Damit kann der Bundesgerichtshof nun sein abschließendes Urteil über ein an eine Rezepteinlösung gekoppeltes Gewinnspiel treffen – und dass dieser das Gewinnspiel äußerst kritisch sieht, hat er bereits deutlich gemacht.

Die Apothekerkammer Nordrhein hat es geschafft, dass sich der Europäische Gerichtshof (EuGH) erneut mit den Werbemethoden von DocMorris befasst hat. Beharrlich ging die Kammer gegen eine Gewinnspielwerbung des EU-Versenders aus dem Jahr 2015 vor: Wer ein Rezept an DocMorris schickte, konnte teilnehmen – als Preise winkten ein E-Bike im Wert von 2.500 Euro und neun hochwertige elektrische Zahnbürsten. Die AKNR hielt das für unzulässig und sah einen Verstoß gegen das heilmittelwerberechtliche Zugabeverbot.

Das Verfahren ging bis zum Bundesgerichtshof (BGH). Und dieser entschied im vergangenen Februar, den EuGH anzurufen. Die Karlsruher Richter:innen fragten sich, ob das grundsätzliche Verbot von Werbegaben gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 HWG mit den Zielen und den Bestimmungen der Richtlinie 2001/83 – dem Humanarzneimittelkodex, der das EU-Arzneimittelrecht weitgehend harmonisiert  – vereinbar ist. In ihrem Vorlagebeschluss führten sie aus, dass aus ihrer Sicht ein solches Verbot gerechtfertigt sein könnte. Denn es solle der Gefahr begegnen, dass Verbraucher:innen bei der Entscheidung, ob sie ein Arzneimittel in Anspruch nehmen, durch die Aussicht auf durch den Kauf des Arzneimittels bedingte Werbegaben beeinflusst werden. Doch die Entscheidung von Patienten und Patientinnen, woher sie ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel beziehen – ob bei einer in- oder ausländischen Versandapotheke statt bei einer stationären Apotheke, die eine objektiv benötigte Beratung leisten könne –, sollte auf sachlichen Gründen beruhen und nicht durch derartige Anreize beeinflusst werden, argumentierte der BGH.

Allerdings: Die Richtlinie 2001/83 enthält keine speziellen Vorschriften über die Werbung für ein Arzneimittel in Form einer Verlosung. Zudem gibt es das Urteil des EuGH vom 19. Oktober 2016, wonach es den in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Versandapotheken nicht versagt werden kann, mit den Vor-Ort-Apotheken in Deutschland in einen Preiswettbewerb zu treten. Dies sei unter anderem nötig, argumentierten die Luxemburger Richter:innen damals, um auszugleichen, dass die Versender keine individuelle Beratung der Patienten vor Ort leisten könnten. Wie ist vor diesem Hintergrund also eine Anwendung des heilmittelwerberechtlichen Zugabeverbots zu sehen?

Nun hat der EuGH entschieden. In seinem Urteil führt er zunächst aus, dass eine Werbeaktion wie die vorliegende gar nicht in den Anwendungsbereich der werberechtlichen Bestimmungen der Richtlinie 2001/83 fällt. Doch damit ist nicht Schluss – denn der EuGH hat durchaus die Aufgabe, dem nationalen Gericht, das ihn anruft, „eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Verfahrens zweckdienliche Antwort zu geben“. Und es sind durchaus weitere europarechtliche Vorgaben in Betracht zu ziehen.

Freier Warenverkehr nicht unzulässig beschränkt

Im Weiteren stellt der EuGH aber erst einmal fest, dass das Verbot der Veranstaltung von Gewinnspielen zur Werbung für die Dienstleistungen des Verkaufs von Arzneimitteln im Versandhandel auf EU-Ebene nicht harmonisiert ist. „Für die Regelung dieses Bereichs sind daher weiterhin die Mitgliedstaaten zuständig, die dabei insbesondere die im AEU-Vertrag verbürgten Grundfreiheiten zu beachten haben“.

Und da sind insbesondere der freie Dienstleistungsverkehr und der freie Warenverkehr zu nennen – beide Grundfreiheiten könnten hier eingeschränkt sein. Im vorliegenden Fall sei der freie Warenverkehr aber die entscheidende, führen die Richter:innen aus. Denn das Heilmittelwerbegesetz betreffe nicht die Ausübung der Tätigkeit der Apotheker:innen oder die Dienstleistung des Versandhandels als solche. Vielmehr regele das Gesetz eine bestimmte Form der Werbeaktion für angebotene Arzneimittel. 

Deutsche Apotheken genauso betroffen

Ist das Zugabeverbot nun also eine Maßnahme, die den freien Warenverkehr so sehr behindert wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung? Dafür gibt es klare Maßstäbe im Europarecht. Unter anderem ist in der Rechtsprechung klar: Die Einschränkung bestimmter Verkaufsmodalitäten behindern den innereuropäischen Handel nicht derart, wenn diese Maßnahmen „für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gelten, die ihre Tätigkeit im Inland ausüben, und sofern sie den Absatz der inländischen Erzeugnisse und der Erzeugnisse aus anderen Mitgliedstaaten rechtlich wie tatsächlich in der gleichen Weise berühren“. Sind diese Voraussetzungen erfüllt, versperren sie nicht den Marktzugang für diese Erzeugnisse oder behindern ihn nicht mehr als dies für inländische Erzeugnisse der Fall ist.

Hier stellt der EuGH fest, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind. So gelte das Heilmittelwerbegesetz unterschiedslos für alle Apotheken, die in Deutschland Arzneimittel verkaufen – unabhängig davon, ob sie in der Bundesrepublik Deutschland oder in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sind.

Kurzum: Weder der EU-Arzneimittelkodex noch Art. 34 AEUV, der das Verbot mengenmäßiger Einfuhrbeschränkungen und Maßnahmen gleicher Wirkung regelt, stehen der Anwendung des Heilmittelwerberechts im vorliegenden Fall entgegen. 

Kein Widerspruch zum Urteil von 2016

Ausdrücklich stellt der EuGH in seinem Urteil klar, dass dieses Ergebnis auch nicht im Widerspruch zum Urteil vom 19. Oktober 2016 stehe: Das Verbot von Gewinnspielen zur Förderung des Verkaufs von Arzneimitteln habe für die Versandapotheken nämlich wesentlich geringere Auswirkungen als das absolute Verbot eines Preiswettbewerbs, um das es seinerzeit ging. Damit kann der Bundesgerichtshof nun seine abschließende Entscheidung über ein an eine Rezepteinlösung gekoppeltes Gewinnspiel treffen – und dass der Karlsruher Senat dieses Gewinnspiel kritisch sieht, hat er bereits deutlich gemacht.

Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 15. Juli 2021, Rs. C-190/20



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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