Klaus Michels zum EuGH-Urteil 2016

Eine konsequente Preisbindung ist unabdingbar

Stuttgart - 20.10.2021, 09:15 Uhr

Dr. Klaus Michels: Nicht nur am Beispiel der Masken wurde deutlich, wie unbedingt nötig die Preisbindung im Bereich der Gesundheitsversorgung ist. Man möchte sich kaum ausmalen, was eine ähnliche Entwicklung bei lebensnotwendigen Arzneimitteln bedeuten würde. Insofern wird uns das EuGH-Urteil noch lange begleiten. (Foto: Münsterview / Tronquet)

Dr. Klaus Michels: Nicht nur am Beispiel der Masken wurde deutlich, wie unbedingt nötig die Preisbindung im Bereich der Gesundheitsversorgung ist. Man möchte sich kaum ausmalen, was eine ähnliche Entwicklung bei lebensnotwendigen Arzneimitteln bedeuten würde. Insofern wird uns das EuGH-Urteil noch lange begleiten. (Foto: Münsterview / Tronquet)


Urteil ist  „skandalös“

DAZ: Was ist Ihre Hauptkritik am EuGH-Urteil?

Michels: Zunächst einmal, dass der EuGH mit seinem Urteil in eklatanter Weise das Subsidiaritätsprinzip verletzt und sich damit faktisch zu einer Art zweitem Gesetzgeber gemacht hat. Wenn man bedenkt, dass bis heute in der großen Mehrheit der Mitgliedstaaten Arzneimittel der Preisbindung unterliegen, muss man dieses Urteil wohl als skandalös bezeichnen. Der Meinung, dass bei der Frage der Preisbindung von einer nationalstaatlichen Gesetzgebungskompetenz auszugehen ist, ist ja bekanntlich auch der BGH.

Wie haben Sie die unmittelbare Reaktion auf den Richterspruch erlebt, in den Wochen und Monaten danach? Was haben Ihnen Politikerinnen und Politiker signalisiert?

Ich kann mich noch genau erinnern, dass ich am späten Vormittag als Patient im Wartezimmer unseres Krankenhauses gesessen habe, als die schlechte Nachricht der ABDA mich erreichte. So war ich zumindest in unmittelbarer Nähe guter ärztlicher Betreuung. Scherz beiseite. Mit diesem Urteil hatte auch in der Politik kaum jemand gerechnet. Wir haben in der Folge aus den Reihen der CDU und der Linken durchaus verbale Unterstützung für die logische Forderung nach dem Rx-Versandhandelsverbot bekommen. Nicht zuletzt hatte diese dann ja auch Eingang in den Vertrag der Großen Koalition gefunden. Dass dann ausgerechnet ein CDU-Gesundheitsminister diese Vereinbarung nicht durchgesetzt hat, enttäuscht mich ganz besonders.

Hat sich die ABDA Ihrer Meinung nach zu schnell von der Forderung nach einem Rx-Versandverbot gelöst?

In der Mitte der Legislaturperiode zeichnete sich ab, dass sich das Versandhandelsverbot nicht gegen den Widerstand in der SPD und der Opposition durchsetzen lassen würde. Am meisten enttäuscht hat mich in diesem Zusammenhang die Haltung der FDP. Das Wort „frei“ findet sich ja nicht nur im Namen der FDP, sondern auch im „freien Beruf“, zu dem sich nicht nur die Apotheker zählen. Ich bin der festen Überzeugung, dass der Mittelstand und somit die freien Berufe einen ganz wesentlichen Beitrag zur Stabilität unserer Bundesrepublik leisten. Dies haben wir Apotheker in der Corona-Pandemie ganz besonders bewiesen. Deshalb sollten die freien Berufe um jeden Preis erhalten werden. Dazu benötigen sie wegen der strengen Reglementierungen und der Delegation staatlicher Verantwortung zwingend ausreichenden Schutz vor ausuferndem Wettbewerb.

Doch zurück zum Versandhandelsverbot. Ob man die Forderung noch einige Zeit hätte aufrechterhalten sollen, ist heute müßig. Was wir jedoch keinesfalls hätten akzeptieren dürfen, ist die Streichung von § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG und dessen Transplantation ins SGB V. Welche Folgenkaskade dies für unser bewährtes Gesundheitssystem haben wird, habe ich bereits im Sommer 2019 im Interview mit DAZ.online ausgeführt.

Darin haben Sie sich im August 2019 für ein „milderes Mittel“ ausgesprochen, also eine erneute Vorlage an den EuGH mit einem vollständigen Tatsachenvortrag, einer Revidierung des Urteils, um damit eine Rückkehr zur Rechtslage vor der Entscheidung des EuGH vom 19. Oktober 2016 zu erreichen. Warum war das für Sie der Königsweg? Wäre dies nach wie vor möglich?

Ich bin bis heute fest davon überzeugt, dass es eine gute Chance gegeben hätte, das Problem der Preisfreigabe für Rx über diesen Weg erneut dem EuGH zur Entscheidung vorzulegen und das Urteil von 2016 umzukehren. Durch die Streichung des entscheidenden § 78 Absatz 1 Satz 4 AMG, der ja erst einige Jahre vor dem Urteil von 2016 aus gutem Grund in das AMG eingefügt worden war, und die Transplantation ins Sozialgesetzbuch wird das allerdings schwer. Denn dadurch gilt die Preisbindung nur noch für GKV-Versicherte. Indem sie die Preisbindung nur noch für einen Teil der Versicherten gelten lässt, hat die Politik für weitere Gerichtsverfahren all die guten Argumente für  deren Erhalt nun selbst geschwächt.



Dr. Armin Edalat, Apotheker, Chefredakteur DAZ
redaktion@daz.online


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