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Gastbeitrag
Abgrenzung des Rezepturprivilegs vom zulassungspflichtigen Fertigarzneimittel
Ein DAT-Antrag des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe (AVWL) beschäftigt sich mit dem Rezeptur- und Defekturprivileg. Hintergrund sind juristische Auseinandersetzungen um das Abfüllen von Opiumtinktur in den Apotheken. Der Verband fordert den Gesetzgeber auf, bestehende Rechtsunsicherheiten zu beseitigen. In den Augen von DAZ-Autor Dr. Thomas Müller-Bohn bleibt die Zielformulierung zu vage. Thomas Rochel, Vorstandsvorsitzender des AVWL, sieht das anders und verteidigt den Antrag.
Der AVWL hat zum diesjährigen Deutschen Apothekertag (DAT) einen Antrag gestellt, der sich mit der Problematik der Abgrenzung des Rezepturprivilegs vom zulassungspflichtigen Fertigarzneimittel (FAM) befasst (Drucksache 2.22). DAZ-Autor Thomas Müller-Bohn hat diesen Antrag unter anderem als zu vage kritisiert. Die Kritik verkennt jedoch die tatsächliche sowie rechtliche Ausgangssituation und vor allen Dingen, dass die Forderung nach einem maximal weiten Verständnis der Rezeptur nicht nur sinn- und zweckwidrig ist, sondern auch die Gefahr einer Trivialisierung des Apothekerberufs herbeiführt.
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Das umstrittene Thema ist nicht neu, ist es doch bereits auf dem DAT 2018 durch den Landesapothekerverband Baden-Württemberg mit dem Ziel eines möglichst weiten Rezepturverständnisses adressiert worden. Bezogen auf den Stoff Opiumtinktur haben sich zudem in jüngerer Zeit verschiedene Gerichte erneut mit der Abgrenzung zur Herstellung eines FAM beschäftigt. Vor wenigen Wochen ist es dann im Wege einer produktbezogenen Einzelfallentscheidung nach § 21 Abs. 4 AMG durch das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zu einer auch für Gerichte verbindlichen Klärung der Streitfrage gekommen.
BfArM sieht kein zulassungspflichtiges FAM, generelle Problematik bleibt
Das BfArM hat dabei maßgeblich darauf abgestellt, dass das streitgegenständliche Produkt von der Apotheke über den Großhandel in einer Packung bezogen wird, die nicht dazu bestimmt ist, an den Verbraucher abgegeben zu werden. Ferner, dass die Packung weder die für Fertigarzneimittel vorgeschriebene Kennzeichnung, noch eine Dosierhilfe, noch eine Kindersicherung aufweist. Erst in der Apotheke werde die Opiumtinktur gebrauchsfertig gemacht und sodann an den Verbraucher abgegeben, sodass es sich um kein zulassungspflichtiges FAM handele.
Man mag daher zunächst einmal davon ausgehen dürfen, dass die insbesondere für Apotheken bestehende Rechtsunsicherheit beseitigt und es wieder gefahrlos möglich ist, Opiumtinktur als Rezepturarznei in der durch den BfArM-Bescheid erlaubten Art und Weise abzugeben. Die generelle Problematik einer trennscharfen und rechtssicheren Abgrenzung zur Zulassungspflicht nach § 21 Abs. 1 AMG hat sich damit jedoch keineswegs erledigt, im Gegenteil: Die BfArM-Entscheidung läuft der betreffenden Rechtsprechungslinie der letzten zwanzig Jahre diametral zuwider.
Rechtsprechung liegt ein restriktives Verständnis der Rezeptur zugrunde
Dieser Rechtsprechung liegt – vereinfacht gesagt – ein restriktives Verständnis der Rezeptur zugrunde. Unter anderem ausgehend von Sinn und Zweck des Zulassungsverfahrens, nämlich der effizienten Kontrolle industriell und für einen unbestimmten Patientenkreis hergestellter Arzneimittel, bejahen die Gerichte überwiegend dann das Vorliegen eines zulassungspflichtigen FAM, wenn es in der Apotheke zu keinerlei wesentlichen Herstellungsschritten mehr kommt, weil insbesondere der bezogene Arzneistoff bzw. das Arzneimittel vor der Abgabe an den Patienten in keiner Weise mehr verarbeitet bzw. verändert werden muss. Vereinzelt haben Gerichte allerdings auch eine noch erforderliche Verarbeitung in der Apotheke für unbeachtlich erklärt und so letztlich das Rezepturprivileg ihrerseits – sinn- und zweckwidrig – ausgehöhlt (vgl. etwa BGH, Urteil v. 04.09.2012, Az. 1 StR 534/1).
Auch der BfArM-Entscheidung fehlt es leider an der nötigen Schlüssigkeit. Dies jedenfalls dann, wenn man ihr über den konkreten Fall der Opiumtinktur hinaus Bedeutung beimisst. Denn es läuft dem Sinn und Zweck eines (kostspieligen) Zulassungs- und Aufsichtsverfahrens ganz offensichtlich zuwider, wenn ein Hersteller dieses umgehen kann, indem er nahezu alles, insbesondere das Arzneimittel selbst industriell fertigt und nur den letzten Schritt zur Gebrauchsfertigkeit wie bspw. das Abpacken von Groß- in Kleingebinde und/oder das Aufschrauben eines Kindersicherungsverschlusses der Apotheke überlässt. Unseres Erachtens sind solche Strategien im Markt bereits vereinzelt zu beobachten. Und auch auf die BfArM-Entscheidung greift man schon im Sinne einer generellen Argumentationslinie zurück.
Klarstellung oder Änderung der Gesetzeslage
Da nun auch künftig das BfArM nicht in jedem strittigen Grenzfall (noch zumal bei einer Verfahrensdauer von drei Jahren wie im Fall der Opiumtinktur!) eine Einzelfallentscheidung nach § 21 Abs. 4 AMG treffen kann (was das BfArM im Übrigen zu einer Art „Ersatz-Gesetzgeber“ machen würde), ist es im wohlverstandenen Interesse der Apotheke und mehr denn je nötig, den Gesetzgeber zu einer Klarstellung oder Änderung der Gesetzeslage betreffend das Rezeptur- und Defekturprivileg in Abgrenzung zu § 21 Abs. 1 AMG aufzufordern. Ziel muss es dabei selbstredend auch sein, diejenigen vereinzelten Entscheidungen „wieder einzufangen“, die dem Sinn und Zweck der Rezeptur nicht gerecht geworden sind.
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Der Vorwurf Müller-Bohns, der entsprechende DAT-Antrag des AVWL sei zu vage und könne zum „Bumerang gegen die Rezeptur“ werden, ist unzutreffend und beispielhaft für die Fehlleitung der Debatte. Unzutreffend insoweit, als dass mit dem Antrag eine Vielzahl komplexer, noch zu klärender Fragestellungen verbunden ist. So etwa die, wie sich eine nach Analyse der denkbaren Fallkonstellationen und hieraus abgeleitete Grenzziehung in das übrige System bestehend unter anderem aus dem Institut der Standardzulassung (§ 36 AMG) oder der Entscheidung im Einzelfall nach § 21 Abs. 4 AMG einordnet. All das ist im Rahmen der Erarbeitung eines Referentenentwurfs zu leisten – freilich auf Grundlage einer gut vorbereiteten Initiative der ABDA und unter deren Beteiligung.
Mit der Maximalforderung ist es nicht getan
Dass es mit einer zwar bestimmten, aber offensichtlich wenig überzeugenden Maximalforderung nach dem Motto „Jede Tätigkeit in der Apotheke löst das Rezepturprivileg aus“ nicht getan ist, zeigt im Übrigen gerade das Schicksal des DAT-Antrages aus 2018, der zwar im Rahmen eines Gesetzgebungsverfahrens eingebracht wurde, aber bereits im Regierungsentwurf in keiner Weise mehr Berücksichtigung gefunden hat. Somit wird seit mindestens vier Jahren auf der Stelle getreten oder gar der Kopf in den Sand gesteckt, verbunden mit der Hoffnung, das Problem möge sich von selbst lösen.
Behauptung offenbart Fehlleitung der Debatte
An der Behauptung Müller-Bohns, jede Aufweichung der Apothekerposition könne zu einem Bumerang werden, der die Rezeptur zerstöre, wird zugleich die Fehlleitung der Debatte deutlich: Rezeptur und Defektur sind integrale Bestandteile apothekerlichen Tuns und gewährleisten ganz maßgeblich die individuelle und zeitnahe Gesundheitsversorgung der Bevölkerung. Sie begründen „Privilegien“ der Apotheke, weisen die Fachkompetenz des Berufsstandes in besonderem Maße aus und sind daher nicht zuletzt für dessen Selbstverständnis von großer Bedeutung. Zu unterstellen, solche Privilegien rechtfertigten sich quasi aus sich selbst heraus und seien keinen Veränderungen unterworfen, verkennt deren Bedeutung.
Folglich ist auch die Forderung, jedwede in § 4 Abs. 14 AMG aufgeführte Verarbeitungstätigkeit sei unter das Rezepturprivileg zu subsumieren, ebenso falsch wie die insoweit aufgestellte Behauptung, die einschlägige Rechtsprechung weise daher eine Reihe verfehlter Entscheidungen auf. Das Rezepturprivileg wird sich vielmehr auf Dauer nur dann bewahren lassen, wenn es – auch und gerade in Abgrenzung zu anderen Berufen – auf der besonderen Fach- und Sachkenntnis des Apothekers als dem Experten für das Arzneimittel beruht. Alles andere höhlt in Wirklichkeit das Rezepturprivileg aus und trivialisiert letztlich den Apothekerberuf. Weder der Gesetzgeber noch die Rechtsprechung werden für solche Sichtweisen zu gewinnen sein.
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Aus den vorgenannten Gründen ist Müller-Bohn schließlich auch im Hinblick darauf zu widersprechen, dass es mit dem DAT-Antrag aus 2018 bereits eine Beschlusslage gebe und daher kein Grund bestehe, diese zu ändern. Nicht nur, dass der besagte DAT-Beschluss nicht zum Ziel geführt und damit quasi (erfolglos) „abgearbeitet“ und „erledigt“ ist, sondern er vermag auch schon per se keine Präklusion bzgl. eines erneuten, verbesserten Antrages auszulösen. Dies gilt sogar ganz ungeachtet der konkreten Situation, denn die Hauptversammlung ist nie daran gehindert, einen zurückliegenden Antrag zu korrigieren, neu zu fassen, zu erweitern oder aber gänzlich wieder von ihm Abstand zu nehmen. Anders als behauptet, bestehen also keine formalen Gründe gegen den AVWL-Antrag, was im Übrigen konsequenterweise dann auch bereits zu einer Zurückweisung des eingereichten Antrages hätte führen müssen.
Wenn Müller-Bohn also insgesamt zu widersprechen ist, so ist ihm zugleich aber für seine intensive Auseinandersetzung mit dieser für Apotheken wichtigen Fragestellung und die Vielzahl der daraus hervorgegangenen Artikel und Fachbeiträge ausdrücklich zu danken. Dieses Engagement ist im Rahmen der Sach- und Fachdebatte und dem damit verbundenen Ringen um die beste Argumentation und die beste Lösung von großem Wert und hilft, die an anderer Stelle nicht selten fehlende Debattenkultur zu kompensieren.
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