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„Fakt“-Recherche
Lunapharm-Mitangeklagter handelt offenbar weiter illegal mit Arzneimitteln
Ein Jahr nach Prozessbeginn kommt neuer Wind in die Aufklärung zum Skandal um mutmaßlich illegal nach Deutschland importierte Arzneimittel. Im Zentrum des Prozesses steht die Firma Lunapharm, deren Geschäftsführerin in Potsdam vor Gericht steht. Einer ihrer Mitangeklagten kann sich der Strafverfolgung bisher entziehen und erweckt den Verdacht weiter illegal mit Arzneimitteln zu handeln
Der Prozess gegen die Verantwortlichen im sogenannten Lunapharm-Skandal ging in der vergangenen Woche vor dem Landgericht Potsdam in eine nächste Runde. Verantworten musste sich an drei Prozesstagen die Geschäftsführerin von Lunapharm, Susanne Krautz-Zeitel, die von Mai 2017 bis Juli 2018 Arzneimittel an Apotheken vertrieben haben soll, welche laut Anklage auf illegalen Wegen nach Deutschland importiert wurden. Das Unternehmen aus Mahlow in Brandenburg soll zusammen mit einem mitangeklagten griechischen Apotheker falsch deklarierte Arzneimittel in Deutschland in Umlauf gebracht haben.
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Der Betreiber der beteiligten griechischen Apotheke muss sich ebenfalls vor Gericht verantworten – diese verfügte nicht über eine notwendige Großhandelserlaubnis. Krautz-Zeitel soll mit den illegalen Geschäften, mit meist hochpreisigen Arzneimitteln gegen Krebs, Einnahmen von 1,1 Millionen Euro erwirtschaftet haben. Bundesweit sind tausende Patient*innen mit den durch Lunapharm in Umlauf gebrachten Arzneimitteln in Kontakt gekommen.
Im Juli 2018 wurden die offenbar illegalen Geschäfte von dem ARD-Magazin „Kontraste“ aufgedeckt, nachdem es zuvor im Mai in Griechenland zahlreiche Verhaftungen wegen mutmaßlichen Arzneimittelstraftaten gegeben hatte. Im Oktober 2019 wurde Anklage gegen drei Beschuldigte in Deutschland erhoben. Seit Oktober 2023 läuft das Verfahren gegen Krautz-Zeitel und den mitangeklagten Apotheker.
„Krebsmedikamente im Ambiente des Straßenhandels angeboten“
Ein dritter Mitangeklagter muss sich bisher nicht vor Gericht verantworten. Der 76-jährige Deutsch-Ägypter Mohamed H. spielte offenbar eine Schlüsselrolle bei den illegalen Geschäften. Er war im Mai 2018 zusammen mit 20 weiteren Verdächtigen in Griechenland festgenommen worden und saß dann über ein Jahr in Untersuchungshaft. Nach seiner Freilassung übernahm die deutsche Justiz seinen Fall. Die gehandelten Arzneimittel sollen H. und seine Komplizen aus griechischen Kliniken abgezweigt haben. Herkunft und Lieferwege seien verschleiert worden. Für den Weitertransport sollen die Arzneimittel zum Teil auf einem Fischmarkt zwischengelagert worden sein, so der Vorwurf. Laut Staatsanwaltschaft seien von H. „per Whats-App Krebsmedikamente in einem Ambiente des Straßenhandels angeboten“ worden.
Angeklagter umgeht Gerichtsverfahren
Dennoch muss sich H. bisher nicht vor Gericht verantworten. Ein Gutachten des zuständigen Gesundheitsamtes bescheinigt ihm Reise- und Prozessunfähigkeit. Er sei gebrechlich und zur verbalen Kommunikation nicht fähig. Recherchen des ARD-Magazins „Fakt“ zeichnen ein anderes Bild: Dessen Mitarbeiter konnten den Kontakt zu H. herstellen und gaben sich ihm gegenüber als niederländische Pharmahändler aus. Daraufhin schickte der Deutsch-Ägypter zahlreiche Bilder von zum Teil geöffneten Arzneimittelpackungen.
Der Apotheker Franz Stadler, machte gegenüber „Fakt“ deutlich, dass die von H. gesendeten Bilder alles andere als einen fachmännischen Umgang zeigen. Das bestätigte auch der Strafrechtler Arndt Sinn, der im Bereich Arzneimittelkriminalität forscht. Im Rahmen der EU-Gesetzgebung sei festgeschrieben, dass nur ungeöffnete Arzneimittelpackungen in Umlauf gebracht werden dürfen, um sicherzustellen, dass diese nicht mit anderen Mitteln befüllt werden. Die vorgelegten Bilder wiesen klar auf illegale Praktiken hin, so Sinn. Die von H. versendeten Fotos legten den Verdacht nahe, dass dieser offenbar weiterhin illegal Arzneimittel vertreibe.
„Profi“ für Krebsmedikamente mit Lizenz der ägyptischen Regierung
Der angeblich reise- und prozessunfähige H. ließ sich auf ein Treffen mit den vermeintlichen Pharmahändlern von „Fakt“ ein: Die Hinfahrt dorthin absolvierte er allein im Linienbus und zeigte sich im Gespräch mit den „Fakt“-Reporter*innen auch keineswegs kommunikationsunfähig. Er erzählte freimütig von seiner Zeit in Griechenland. Alle paar Wochen habe er damals Koffer voller Geld nach Deutschland bringen müssen. Seine Bestseller seien „Krebsmedikamente – ich liebe sie einfach sehr. Ich bin ein Profi in Sachen Krebsmedikamente.“ Er verfüge über ein „superexzellentes Netzwerk“. Und ohne Umschweife machte er in Bezug auf seine Geschäftsaktivitäten klar: „Sorry, ich bin der Kopf des Ganzen. Ich liebe, was ich tue. Warum aufhören?“
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Auch das Abnehmmittel Ozempic wurde von H. beworben, er gab an, dieses von einem Händler in Sachsen zu beziehen. Hierbei wurden ebenfalls geöffnete Packungen präsentiert. Apotheker Stadler macht klar: Diese sind damit nicht mehr steril und dürften keinesfalls in den Umlauf gebracht werden.
Auf die Frage, ob er über eine deutsche Erlaubnis als Pharmagroßhändler verfüge, verwies H. auf eine angebliche internationale Handelserlaubnis, die ihm von der ägyptischen Regierung ausgestellt worden sei. Aktuell kooperiere er mit einer Partnerfirma mit Sitz in Bayern und der Schweiz. Zudem gibt H. an, selbst zwei Unternehmen zu betreiben. Mit den deutschen Strafbehörden habe er noch nie Probleme gehabt.
Sinn: „Arzneimittel sind das neue Kokain“
Strafrechtsexperte Sinn sieht hier „ein schönes Beispiel dafür, dass diesem hochprofitablen Bereich des illegalen Arzneimittelhandels keine Schranken entgegengestellt werden.“ Es gebe „zu viele Schwachstellen im System“, zudem bemängelt Sinn einen unzureichenden Informationsaustausch zwischen den Behörden bei der Strafverfolgung: „Arzneimittel sind das neue Kokain für Kriminelle. Man kann sehr viel Geld verdienen und der Kontrolldruck und das Strafverfolgungsrisiko sind extrem gering auf diesem Markt.“ Wie im Fall von H. könnten zu oft bereits bekannte illegale Geschäftsmodelle einfach weitergeführt werden.
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Nach den Untersuchungen von „Fakt“ betreibt H. seine Unternehmen unter leicht veränderter Bezeichnung weiter. Dem zuständigen Hessischen Landesamt für Gesundheit und Pflege ist davon jedoch nichts bekannt, teilte die Behörde gegenüber „Fakt“ mit. Die Erkenntnisse der Recherche wurden an die zuständige Staatsanwaltschaft und das Landgericht Potsdam übermittelt. Das Gericht kündigte an, den Gesundheitszustand von Herrn H. überprüfen zu lassen. Doch dieser war zum Abschluss der Recherche nicht mehr am angegebenen Wohnort anzutreffen und reagierte nicht mehr auf schriftliche Anfragen der Journalisten.
Bis zum 15. November sind noch weitere vier Prozesstage in Potsdam anberaumt. Ob das Verfahren bis dahin zum geplanten Abschluss kommt, ist ungewiss, genauso die Frage, ob Mohamed H. doch noch auf der Anklagebank landen wird.
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