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DocMorris' Schadensersatzprozess gegen die AKNR
Woran die Schlussanträge des Generalanwalts haken
Sind an eine Gutscheinwerbung für Rx-Arzneimittel weniger strenge Anforderungen zu stellen als an eine Publikumswerbung für OTC? EuGH-Generalanwalt Maciej Szpunar sieht das so – schließlich würden diese Arzneimittel ärztlich verordnet. Apothekenrechtsexperte Elmar Mand zeigt auf, wo die Argumentation hakt – und warum der Rechtsstreit zwischen DocMorris und der AKNR über den konkreten Fall hinaus so bedeutend ist.
Auch wenn der Rechtsstreit zwischen DocMorris und der Apothekenkammer Nordrhein Schadensersatzansprüche wegen lange zurückliegender Untersagungsverfügungen gegen ausländische Versandapotheken betrifft: Für die Auslegung des aktuellen Zuwendungsverbots im Heilmittelwerberecht (§ 7 HWG) und für das durch das Gesetz zur Stärkung von Vor-Ort-Apotheken teilweise neu gefasste und in das Sozialrecht verlagerte Arzneimittelpreisrecht (§ 129 Abs. 3 SGB V) ist er von herausragender Bedeutung.
Um dies zu verstehen, muss man sich klarmachen, dass die früheren Entscheidungen deutscher Gerichte gegen Bonus- und Rabattwerbung ausländischer Versandapotheken, die Kunden in Deutschland belieferten, immer auf den Verstoß gegen den einheitlichen Apothekenabgabepreis gemäß § 78 Abs. 1 Satz 4, Abs. 2 Arzneimittelgesetz (AMG) alter Fassung gestützt waren. In der Anwendbarkeit dieser einheitlichen Apothekenabgabepreise auf Apotheken im EU-Ausland erkannte der Europäische Gerichtshof (EuGH) in der 2016 ergangenen Entscheidung Deutsche Parkinson Vereinigung (Urteil vom 19. Oktober 2016, Rs. C-148/15) nachfolgend bekanntlich einen Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit im EU-Binnenmarkt (Art. 34 AEUV). Denn ausländische Apotheken seien besonders auf den Preiswettbewerb angewiesen, um überhaupt den deutschen Markt zu erreichen.
Unterschied zum Fall „Deutsche Parkinson Vereinigung“
Dass die teils aggressive Bonus- und Rabattwerbung der Versandapotheken auch gegen das Verbot unsachlicher Beeinflussungen durch Werbegaben im Heilmittelwerberecht verstoßen könnte, war nicht Gegenstand der Entscheidung. Genau darum geht es aber im aktuellen Verfahren vor dem EuGH: Zu klären ist, ob die Wertreklame, wenn auch nicht nach dem deutschen Preisrecht, so doch nach dem auch in einer EU-Richtlinie (Art. 87 Abs. 3 oder Art. 88 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG) unionsweit weitgehend harmonisierten Heilmittelwerberecht verboten war und ist. Denn dann wäre das Verbot zwar auf der falschen Rechtsgrundlage (deutsches Arzneimittelpreisrecht), im Ergebnis aber doch zu Recht ergangen. Schadensersatzansprüche wegen der gerichtlichen Verbote schieden dann aus.
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Im Dezember 2022 hat der EuGH in der Rechtssache „Euroaptieka“ hierzu eine wegweisende Entscheidung getroffen. Der Gerichtshof urteilte, dass vergleichbare Formen der Bonus- und Gutscheinwerbung bei OTC-Arzneimitteln nach der Richtlinie 2001/83/EG unionsweit verboten sind (Art. 87 Abs. 3). Dass es sich um sortimentsweite Werbung einer Versandapotheke handelte, ändere hieran nichts. Denn die Werbenormen der genannten Richtlinie gelten auch für Werbung für unbestimmte Arzneimittel. Dieses Verbot müssen nun alle EU-Mitgliedstaaten in ihr nationales Recht umsetzen. Die Gerichte müssen die nationalen Verbote im Werberecht entsprechend auslegen. Das wird dazu führen, dass in Deutschland die OTC-Werbung – egal ob von deutschen oder EU-ausländischen Apotheken – deutlich weiter einzuschränken sein wird, als dies bisher in § 7 HWG geregelt ist.
Welche Grundsätze gelten für Rx-Arzneimittel?
Im aktuellen Fall geht es nun darum, ob für verschreibungspflichtige Arzneimittel die gleichen Grundsätze gelten. Dies hätte weitreichende Folgen: Jede Bonus- und Rabattwerbung wäre dann nämlich per se und ohne Unterschied verboten, da nach Art. 88 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG für Rx-Arzneimittel schlicht gar nicht geworben werden darf (Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn man die Frage, was Werbung für Arzneimittel ist, in den verschiedenen Verbotstatbeständen unterschiedlich auslegte).
In seinen Schlussanträgen versucht Generalanwalt Maciej Szpunar im Interesse eines ungehinderten grenzüberschreitenden Handels diese Folge zu verhindern, indem er sortimentsweite Rabatt- und Gutscheinwerbung für Rx-Arzneimittel in Apotheken aus dem Werbebegriff der Richtlinie ausklammert und so Rx-Arzneimittel weniger strengen Anforderungen unterwirft als OTC-Arzneimittel.
Fragwürdige Argumente für Ungleichbehandlung
Für diese auf den ersten Blick „sonderbare“ Ungleichbehandlung führt der Generalanwalt zwei Argumente an: Erstens ginge es den Apotheken bei Rx-Arzneimitteln gar nicht um die Förderung des schon vom Arzt vorgegebenen Arzneimittelabsatzes, sondern lediglich um die Beeinflussung der Wahl der Verkaufsstelle. Und zweitens verhindere der Arzt als „Gate-keeper“ zuverlässig jeden unzweckmäßigen Einsatz von Rx-Arzneimitteln. Beide Argumente
überzeugen jedoch nicht.
Der Umstand, dass EU-Arzneimittelversender in erster Linie den Absatz von anderen, insbesondere niedergelassenen Apotheken durch Rabatt- und Gutscheinversprechen auf sich umlenken wollen, aber vielfach keine Lenkung der Arzneimittelauswahl anstreben, ändert nichts daran, dass auch sie den Absatz der Arzneimittel als Mittel zum Zweck (höhere eigene Umsätze auf Kosten der Krankenkassen) fördern wollen. Abgesehen davon sind in jüngster Zeit auch indikationsbezogen oder sogar arzneimittelbezogen gestufte Rabatt- und Bonusversprechen von Versandapotheken bekannt geworden, zum Beispiel weil Versandapotheken besonders günstige Einkaufskonditionen bei einzelnen Arzneimitteln gezielt als Werbemittel im Weiterverkauf einsetzen wollten. Derartige indikationsbezogene Rabattwerbung hat der EuGH jedoch in der Euroaptieka-Entscheidung auch und gerade bei Rx-Arzneimitteln bereits als (unzulässige) Arzneimittelwerbung i.S.d. Richtlinie eingestuft. Warum selektive und unterschiedslos das gesamte Sortiment betreffende Wertreklame unterschiedlich zu behandeln sein soll, leuchtet indes nicht ein.
Geldverdienen auf Rezept als Gefahr
Und auch die Überwachungsfunktion des Arztes taugt als Argument für eine fundamentale Ungleichbehandlung von OTC- und Rx-Arzneimitteln bei Wertreklame nicht: Nicht zuletzt, weil die Rabattwerbung bisweilen so gestaltet ist, dass sie sich explizit auf Folgegeschäfte bezieht, kann sich ein Patient durchaus zur Beschaffung
von Rezepten veranlasst sehen, um die zuletzt sehr hohen Gutscheine von Online-Apotheken von bis zu 20 Euro zu erhalten. Auch bei vollständig gewissenhaftem Handeln des Arztes bestehen hierfür diverse Möglichkeiten, etwa indem der Patient mehrere Ärzte aufsucht oder ein Fortbestehen von Beschwerden bei aufgebrauchter oder nach Teileinnahme verlegter Packung vorspiegelt. Die besonders verführerische Wirkung auch und gerade sortimentsweiter Wertreklame für solche Versuche ergibt sich daraus, dass nicht die Patienten die Arzneimittel bezahlen, sondern ihre Krankenversicherungen (mit Ausnahme evtl. der Zuzahlung von GKV-Versicherten, auf die ausländische Versender auch häufig verzichten). Es droht daher – anders als der Generalanwalt meint – auch ohne Berufsrechtsverstoß (dessen Verhinderung im Übrigen auch ein legitimes Ziel wäre, zumal Apotheken ärztliche Verordnungen prüfen sollen und müssen) – ein Geldverdienen auf Rezept.
Entscheidend gegen die Argumentation des Generalanwalts spricht letztlich aber noch etwas anderes: Wäre der Arzt stets ein zuverlässiger Verhinderer eines Fehlgebrauchs oder Missbrauchs von Arzneimitteln – mit entsprechenden negativen finanziellen Folgen für die sozialen Sicherungssysteme – dürfte es das generelle
Verbot der Publikumswerbung für Rx-Arzneimittel und das optionale generelle Verbot der Publikumswerbung für erstattungsfähige Arzneimittel in der genannten Werberichtlinie gar nicht geben!
Die besseren Argumente...
Die weit besseren Argumente sprechen deshalb dafür, die sortimentsweite Wertreklame von Apotheken nicht nur bei OTC-, sondern auch und gerade bei Rx-Arzneimitteln nach der Richtlinie 2001/83/EG in der gesamten EU einzuschränken. Dann käme es auf die weitere Frage, ob die einzelnen Mitgliedstaaten unabhängig von der Richtlinie derartige Formen der Wertreklame verbieten können, gar nicht an. Dass die Mitgliedstaaten dies grundsätzlich können, hat der EuGH bereits wiederholt entschieden.
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Die Frage ist nur, inwieweit die Warenverkehrsfreiheit im EU-Binnenmarkt der Anwendung solcher nationalen Verbote bei grenzüberschreitenden Sachverhalten entgegensteht. Diese knifflige Frage kann nicht einfach unter Hinweis auf die Entscheidung des EuGH in der Rechtssache Deutsche Parkinson Vereinigung verneint werden, wie dies der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen tut. Abgesehen davon, dass die Entscheidung nicht das Werberecht, sondern nur das deutsche Arzneimittelpreisrecht betraf, ist der Gerichtshof bei Nähe betrachtet den Schlussanträgen, die auch damals von Generalanwalt Szpunar verfasst wurden, nicht vollständig gefolgt, sondern hat lediglich auf den unzureichenden Vortrag von Rechtfertigungsgründen im Verfahren abgestellt. Ob solche Gründe nunmehr vorgebracht werden können, wie zum Beispiel das Oberlandesgericht München in einer ganz neuen Entscheidung sehr ausführlich dargelegt hat, bleibt dementsprechend in jedem Fall sorgfältig zu prüfen.
Dies ist auch mit Blick auf die Rechtfertigung der neuen Preisvorschriften in § 129 Abs. 3 SGB V und die mit der zwischenzeitlichen Einführung des
E-Rezepts einhergehenden deutlichen Erleichterungen für den Marktzugang auch ausländischer Versandapotheken von großer Bedeutung.
Am Ende entscheidet nicht der Generalanwalt, sondern die Richter einer Kammer des EuGH. Die Bundesrepublik Deutschland ist aufgerufen, die ihr als Mitgliedstaat offen stehende Möglichkeit zur Stellungnahme im Verfahren zu nutzen, um diese wichtigen Gesichtspunkte zu verdeutlichen und insbesondere auch die Neuregelung des Arzneimittelpreisrechts in § 129 Abs. 3 SGB V erläuternd zu verteidigen.
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