Europa, Deine Apotheken – Großbritannien

Zwischen Staatsversorgung und einem Markt ohne Regeln

London - 28.12.2016, 19:55 Uhr

Im staatlichen Gesundheitswesen Großbritanniens sollen bis 2021 insgesamt 28 Milliarden Euro eingespart werden. (Foto: DAZ.online)

Im staatlichen Gesundheitswesen Großbritanniens sollen bis 2021 insgesamt 28 Milliarden Euro eingespart werden. (Foto: DAZ.online)


Maximal regulierter Gesundheitsdienst NHS

Trotz umfassender Reformen in den vergangenen Jahren hat das staatliche Gesundheitssystem in England Finanzprobleme. Im Wahlkampf vor der Volksabstimmung zum Brexit war die NHS-Finanzierung eines der Hauptthemen. Nach wie vor gehört der NHS aber zu einem der größten Arbeitgeber des Landes, aufgrund seiner Beschäftigtenzahlen sogar der ganzen Welt. Alle vier NHS-Systeme zusammen beschäftigten 2015 mehr als 1,6 Millionen Menschen. Mehr Staat in der Versorgung geht eigentlich nicht.

Gleichzeitig leistet sich Großbritannien allerdings einen der dereguliertesten Apothekenmärkte Europas. Oder besser gesagt: Im Vereinigten Königreich hat es noch nie viele Regeln im Apothekenbereich gegeben, jedenfalls was den Apothekenbesitz und den Versandhandel betrifft. Denn während die meisten europäischen Länder in den vergangenen Jahrzehnten politisch gewollt liberalisiert wurden, hat es bei den Briten nie ein Fremd- oder Mehrbesitzverbot gegeben. Bei vielen Liberalisierungen, wie zum Beispiel in Schweden, galt Großbritannien daher als Blaupause oder „Beispielmarkt“ – man schaute ins Königreich, um die Auswirkungen einer marktfreien Arzneimittelversorgung auf die Versorgungsqualität zu untersuchen.

Und gerade weil Unternehmen in Großbritannien Apotheken eröffnen dürfen, versuchten die immer größer werdenden internationalen Pharmahandelskonzerne in den Neunzigerjahren zuerst auch dort, sich zu vertikalisieren – aus britischen Großhändlern wurden Apothekenketten international tätiger Pharmahandelskonzerne. Der Stuttgarter Großhändler Gehe übernahm im Jahr 1995 beispielsweise zunächst den Großhändler AAH Pharmaceuticals, der heutzutage schon mehr als 6.000 Apotheken beliefert. Zwei Jahre später folgte die Übernahme der Apothekenkette Lloydspharmacy, die inzwischen mehr als 1.500 Standorte in Großbritannien hat.

Der Werdegang der größten britischen Apothekenkette Boots ist ein Beispiel dafür, wie aus einem englischen Unternehmen ein internationaler Multi-Konzern wurde. Die Kette als solches existiert in England schon länger als 150 Jahre und war einer der angesehensten Arbeitgeber im Königreich. 1849 eröffnete John Boot im mittelenglischen Nottingham die erste Boots-Apotheke. Das Geschäft wuchs und wuchs. 1933 eröffnete die Kette ihren tausendsten Standort. Im Jahr 2005 bekam das britische Traditionsunternehmen dann eine italienische Komponente: Der von Stefano Pessina aufgebaute Apothekenkonzern Alliance UniChem fusionierte mit der Boots-Gruppe. Zwei Jahre später übernahm Pessina gemeinsam mit einem Investitionsfonds den neu gebildeten Konzern Alliance Boots. 



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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1 Kommentar

Wirklichkeit

von Reinhard Rodiger am 28.12.2016 um 15:56 Uhr

Das klingt so als ob das Ideal wäre und unsere Oberen in ihrer Fixierung bestärken .
Die Erträge werden um 20-40 % sinken. Etwa ein Viertel wird das nicht überleben. Distribution wird zentralisiert und automatisiert und damit entwertet . Das bedeutet Kapitaleinsatz, der nur von den Großen erwirtschaftet wird. DIenstleistungen sind zT gedeckelt - jedenfalls die , die hier als wahre Zukunft angepriesen werden(MUR).
Es soll ja gespart werden und nicht die Kosten anderswo wieder reingeholt werden.Wichtiger als hier ist die Einbindung in die Erstversorgerfunktion zur Entlastung der gnadenlos überlasteten Ärzte.Da ist schon ein interessanter Bereich, der haupsächlich von Preisunterschied und der leichteren Zugänglichkeit befeuert wird.Ohne die langen Wartezeiten gäbe es das nicht.Sind Personalengpässe eine Berufslegitimation?

Es wird der eine angestammte Bereich stranguliert und dessen Ausgleich wird den Großen überlassen, die ihre Macht dann ausspielen können.Da gibt es keinen Wettbewerb mehr, oder Interesse an Patientennöten.Alles in ein oder zwei Händen.

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