Peter Liese

EU-Parlamentarier kritisiert EuGH-Urteil und ABDA-Kampagne

Brüssel - 15.03.2017, 12:30 Uhr

Der EU-Abgeordnete Peter Liese (CDU) warnt im DAZ.online-Interview vor zunehmender EU-Skepsis. (Foto: dpa)

Der EU-Abgeordnete Peter Liese (CDU) warnt im DAZ.online-Interview vor zunehmender EU-Skepsis. (Foto: dpa)


Die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs war für viele Apotheker mit Frust über die Europäische Union verbunden. Der EU-Gesundheitspolitiker Peter Liese (CDU) kann dies nur teilweise nachvollziehen, kritisiert im DAZ.online-Interview aber auch die Unterschriftenkampagne der ABDA. Wer die Europäische Union infrage stelle, spiele mit dem Feuer, erklärt er.

Der Mediziner Peter Liese (CDU) ist einer der profiliertesten europäischen Gesundheitspolitiker. Er ist Sprecher der EVP-Christdemokraten für Umwelt, Gesundheit und Lebensmittelsicherheit – die EVP-Christdemokraten sind die stärkste Fraktion im Europäischen Parlament. DAZ.online fragte bei dem deutschen Europaabgeordneten nach, wie er zum Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zu Rx-Boni sowie zur Unterschriftenkampagne der ABDA steht. Im Interview positioniert sich Liese auch zu den aktuellen Plänen von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) für ein Rx-Versandverbot – und der Frage, inwiefern dieses europarechtlich haltbar ist.

DAZ.online: Herr Liese, der Gesundheitssektor sowie die Arzneimittelpreise fallen eigentlich in den Kompetenzbereich der EU-Mitgliedstaaten. Was ist schiefgelaufen, dass der Europäische Gerichtshof dies nun in seiner Entscheidung zu Rx-Boni anders gesehen hat?

Peter Liese: Ich glaube so einfach, wie es sich viele in Deutschland machen, ist das nicht. Man kann nicht einfach sagen, der Gesundheitssektor ist national. Wir haben seit über zwanzig Jahren ein europäisches Arzneimittelrecht: Die Arzneimittel werden zugelassen bei der Europäischen Arzneimittelagentur – oder national aber nach europäischen Regeln beim BfArM. Das sind genauso wie Medizinprodukte, für die wir jetzt gerade eine neue Verordnung abstimmen, Güter, die im Binnenmarkt gehandelt werden. Es ist normal, dass sie auch den europäischen Regeln unterliegen. Es ist immer wieder ein schwieriger Abgrenzungsprozess: Wo ist das Binnenmarktsrecht einschlägig und wo liegt die nationale Kompetenz für die Gestaltung für die Gesundheitsversorgung? Da muss man immer sehr genau hingucken – oberflächliche Urteile helfen nicht weiter.

DAZ.online: Mit dem EuGH-Urteil haben Sie also keine Probleme?

Liese: Ich persönlich finde das Urteil des Europäischen Gerichtshof nicht hilfreich. Ich kann die Argumentation nicht wirklich nachvollziehen – ich glaube, es war nicht zwingend, so zu entscheiden. Aber die Richter haben es natürlich nicht aus einem hohlen Bauch gemacht, sondern sie haben juristische Gründe dafür. Und immerhin haben sich deutsche Patienten beschwert – die Klage ging ja nicht von Versandapotheken aus, sondern von einer deutschen Patientenvereinigung. Der entscheidende Punkt ist, dass wir in 19 von demnächst 27 Mitgliedsstaaten ein Verbot haben, rezeptpflichtige Arzneimittel im Versandhandel zu verschicken. 

Gröhes Pläne sind für Liese rechtskonform

DAZ.online: Sie denken also, ein Rx-Versandverbot in Deutschland wäre machbar?

Liese: Das, was Hermann Gröhe plant, ist nach meiner festen Überzeugung mit dem europäischen Recht vereinbar. Wir haben es auch mehrfach im europäischen Parlament klargestellt, beispielsweise als wir über das Thema Fälschungen von Arzneimitteln beraten und beschlossen haben. Hier wird es zukünftig noch strengere Maßnahmen geben, Arzneimittel zurückzuverfolgen und Fälschungen zu vermeiden – zusätzliche Maßnahmen werden auch auf die Apotheken zukommen. Dann kann ich es verstehen, dass sie sagen, über den Versandhandel könnt ihr das doch gar nicht so gut kontrollieren – bei der Abgabe an den Patienten ist ja letztlich kein Apotheker oder kein Fachpersonal vorhanden. Im Internet sind einfach mehr Fälschungen unterwegs als im stationären Handel. Deshalb gibt es das legitime Recht der Mitgliedsstaaten, den Versandhandel bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu verbieten – um unter anderem anderen diesem Fälschungsproblem Herr zu werden.

DAZ.online: Wäre nicht der Plan von SPD-Politikern, Rx-Boni über das Sozialgesetzbuch zu verbieten, eine rechtssicherere Alternative?

Liese: Da bin ich mir nicht sicher. Der Weg, den Hermann Gröhe vorschlägt, ist nach meiner festen Überzeugung hingegen EU-Rechts-konform. Es gibt zwar auch Fragezeichen – Christian Lindner sagt beispielsweise, es ist etwas Anderes, wenn man einen Zustand beibehält, als wenn man etwas neu verbietet. Ich denke aber, man hat ein sehr starkes Argument, dass auch Deutschland den Versandhandel mit rezeptpflichtigen Arzneimitteln verbieten darf.

DAZ.online: Was sagen Sie zu dem Frust von Apothekern über die Entscheidung des EuGH?

Liese: Ich kann es gut verstehen. Die aktuelle Situation darf auf keinen Fall bleiben, man hat eine Diskriminierung: Deutsche Apotheken dürfen ja keine Rabatte geben. Es ist schon ein wenig so, dass die Versandapotheken sich ein bisschen die Rosinen rauspicken können, indem sie nicht innerhalb von nahezu drei Stunden jedes Medikament besorgen müssen, sondern oft sehr gezielt auf die Blockbuster gehen, an denen sie gut verdienen können. Von daher finde ich den Frust nachvollziehbar.

Wer EU in Frage stellt, spiele mit dem Feuer

DAZ.online: Wie bewerten Sie die EU-Skepsis, die auch angesichts des EuGH-Urteils zunimmt - und zur Unterschriftenaktion der ABDA, die vor der Gefahr von außen warnt?

Liese: Ich finde es übertrieben – das muss ich ganz offen sagen. Ich kann verstehen, dass man sich über dieses konkrete Urteil ärgert, aber der Europäische Gerichtshof ist nicht die EU. Wir haben auch in Deutschland vom Bundesverfassungsgericht Urteile, über die ich mich ärgere. Deswegen würde ich niemals auf die Idee kommen, Deutschland sei aber schlecht. Ich finde, man muss gerade in der jetzigen Situation Tacheles reden: Wenn man aufgrund einer Angelegenheit, über die man sich zu Recht ärgert, die ganze Union in Frage stellt, dann spielt man mit dem Feuer. Wir haben eine ganz ganz schwierige Situation, dass die Europäische Union in höchster Not ist – durch die Brexit-Diskussion, durch Le Pen und vieles andere.

So sehr ich die Apotheker verstehe, dass sie sich über ein konkretes Urteil ärgern, ist es überhaupt kein Grund, die EU grundsätzlich in Frage zu stellen. Wir haben einen großen Teil unseres Wohlstandes und unseres Friedens der Europäischen Union zu verdanken Da muss man wirklich mal die Kirche im Dorf lassen und argumentieren und eine Lösung finden. Letztendlich sage ich: Wenn Ulla Schmidt damals unter rot-grün die deutsche Gesetzeslage nicht verändert hätte, dann hätten wir jetzt kein Problem. Da muss man die tatsächlich Verantwortlichen auch in den Blick nehmen. Es ist ja jetzt auch Ulla Schmidt, die sich jetzt aktuell massivst gegen den Vorschlag von Hermann Gröhe wendet. 

DAZ.online: Eine andere offene Frage durch den Brexit ist, wohin die EMA zieht. Was denken Sie über die Vorschläge – auch Bonn, Frankfurt, München oder Berlin sind ja im Gespräch?

Liese: Es gibt mittlerweile über 27 Bewerbungen. Ehrlich gesagt finde ich es etwas beschämend, dass die Gesundheitsminister sich auf den Weg nach Brüssel machen und beim Brexit jetzt kein anderes Problem haben, als dass am liebsten alle jetzt die EMA haben wollen.



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Europafrust

von Frank ebert am 15.03.2017 um 14:18 Uhr

Der Frust über Europa hat nichts mit den Apotheken zu tun, sondern mit dem ganzen Schwachsinn der die Eu produziert. Der nächste weggelobte Abgeordnete müsste eigentlich Herr Franke sein.

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Also....

von gabriela aures am 15.03.2017 um 13:49 Uhr

1. Soll ich mich freuen oder wundern, wenn plötzlich die Apothekerschaft als große Gefahr für die europäische Idee gehandelt wird ?
Sonst sind wir doch nicht mehr eine Randnotiz im politischen Tagesgeschäft:
vernachlässigbar sind unsere Forderungen, belächelt werden unsere Protesten - und jetzt sollen wir kleine Lichter die EU gefährden ?
Lachen oder Weinen ?

2. "Man kann nicht einfach sagen, der Gesundheitssektor ist national. Wir haben seit über zwanzig Jahren ein europäisches Arzneimittelrecht: Die Arzneimittel werden zugelassen bei der Europäischen Arzneimittelagentur ".
Ja, schon, aber um die Zulassung der Präparate ging es im EU-Gh- Urteil nicht !
Es sind vermutlich die gleichen deutschen Produkte, die wir hier in den Apotheken haben , bzw. die gleichen (Re)Importe . Die Ware kommt aus Deutschland, ist für den deutschen Markt bestimmt, wird (vermutlich) zur Hintertür auf NL-Boden reingekarrt - nur um schnellstmöglich wieder nach D verkauft zu werden.
Das hat mit dem "Gesundheitssektor" nur sehr begrenzt zu tun und betrifft ebenso nur einen kleinen Teil des ganzen Systems, nämlich bekanntermaßen die AMPreisVO.
Nahezu jedes europäische Land hat ein anderes Gesundheitssystem mit abweichenden Regelungen zur Erstattungsfähigkeit und -höhe von Medikamenten und Leistungen.
Hier steht NUR zur Debatte, daß sich im deutschen Gesundheitssystem einseitig ausländische Marktteilnehmer Wettbewerbsvorteile verschaffen dürfen und nicht an nationale Gesetze und Verordnungen gebunden sind !



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