Berliner Runde des BAH

„Beim Rx-Versandverbot gab es Druck aus den Ländern“

Berlin - 20.03.2018, 16:45 Uhr

Teilnehmer der Berliner Runde (v.l.): Moderatorin Susan Knoll (Tagesspiegel), Michael Hennrich (CDU), Prof. Dr. Andrew Ullmann (FDP), Dr. Sabine Richard (AOK-Bundesverband), Kai Helge Vogel (Verbraucherzentrale
Bundesverband) und Philipp Huwe (BAH). (Foto:BAH)

Teilnehmer der Berliner Runde (v.l.): Moderatorin Susan Knoll (Tagesspiegel), Michael Hennrich (CDU), Prof. Dr. Andrew Ullmann (FDP), Dr. Sabine Richard (AOK-Bundesverband), Kai Helge Vogel (Verbraucherzentrale Bundesverband) und Philipp Huwe (BAH). (Foto:BAH)


Vor welchen Herausforderungen steht die Gesundheits- und Arzneimittelpolitik? Diese Frage diskutierte der BAH auf der Berliner Runde am heutigen Dienstag zusammen mit Politikern und Vertretern von Kassen und Verbänden. Zu den diskutierten Themen gehörte neben dem Arzt-Informations-System und der europäischen Nutzenbewertung auch das Rx-Versandverbot und wie es dazu kam, dass es im Koalitionsvertrag steht.

Bei der Berliner Runde des Bundesverband der Arzneimittelhersteller (BAH) diskutierten Michael Hennrich (Arzneimittelexperte der Unionsfraktion), Prof. Dr. Andrew Ullmann (FDP-Bundestagsfraktion), Dr. Sabine Richard (Versorgungschefin im AOK-Bundesverband), Kai Helge Vogel (Verbraucherzentrale Bundesverband) und Philipp Huwe (BAH und AbbVie) über die zukünftigen Herausforderungen in der Gesundheitspolitik und der Arzneimittelversorgung.

Zu den Themen gehörte auch das Versandverbot mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, das von Union und SPD in den Koalitionsvertrag aufgenommen wurde. Aber wie kam es eigentlich dazu, dass das Verbot im Vertrag landete? Der CDU-Politiker Michael Hennrich erklärte, welche Entwicklungen aus seiner Sicht dazu geführt haben, dass die SPD das Verbot im Vertrag akzeptierte. Hennrich erklärte, dass das Rx-Versandverbot seiner Meinung zufolge nicht nur auf den ehemaligen Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) zurückgehe, der das Thema Gesundheit für die Union verhandelt hatte. „Es gab auch Druck aus den Ländern“, erläuterte Hennrich.

Rx-Versandverbot

Versandhandelskonflikt

Rx-Versandverbot

Der CDU-Arzneimittelexperte wies beispielsweise darauf hin, dass kurz vor den Koalitionsverhandlungen im Bund schon ein Koalitionsvertrag in Niedersachsen zwischen CDU und SPD geschlossen worden wurde, der das Rx-Versandverbot enthielt. Und auch in anderen Bundesländern hätten sich SPD-Politiker für das Verbot ausgesprochen. „Und Schwuppdiwupp war das Rx-Versandverbot auch auf Bundesebene wieder im Gespräch“, so Hennrich. Deswegen kam Hennrich auch zu dem Schluss: „Mit Jamaika hätte es das Verbot nie gegeben.“

Hennrich hat Recht: Schon seit dem EuGH-Urteil zur Rx-Preisbindung zeigte die Landespolitik mehr Verständnis für die Forderungen nach einem Rx-Versandverbot. Im vergangenen Jahr hatte Bayern einen Gesetzgebungsantrag zum Rx-Versandverbot im Bundesrat gestellt, den eine Mehrheit der Ländervertreter verabschiedete. Zum Jahresende hatte die neu gebildete große Koalition aus SPD und CDU in Niedersachsen nicht nur das Versandverbot in den Koalitionsvertrag aufgenommen, sondern sich auch für den Erhalt des Fremd- und Mehrbesitzverbotes ausgesprochen. Und schon 2016 war es Niedersachsens ehemalige Gesundheitsministerin Cornelia Rundt, die sich als erste Landesministerin und SPD-Politikerin für ein Verbot ausgesprochen hatte.

Informationen aus den Nutzenbewertungen besser nutzen

Dann ging es um die Frage: Wann kommt das Arztinformationssystem (AIS)? Hennrich meinte, dass man im Juni mit einem Verordnungsentwurf rechnen könne. Sabine Richard vom AOK-Bundesverband sieht in dem System eine große Chance. Durch die frühe Nutzenbewertung würden viele Daten generiert, die in der Verordnungsrealität nicht ankämen. „Die Fülle an Wissen über neue Arzneimittel darf den Ärzten nicht vorenthalten werden", fand Richard. Die Einführung eines Bewertungssystems mit Ampel sieht sie aber kontrovers. „Da stellt sich dann immer die Frage, was grün und was rot ist.“

Für Verbraucherschützer Kai-Helge Vogel steht vor allem die Versorgung der Patienten im Vordergrund, die aber durch das AIS verbessert werden könne. Vorrausetzung sei, dass das System auch praktikabel sei. Auch er sprach sich gegen eine Ampel aus, findet aber, dass Kosten- und Wirtschaftsfragen durchaus miteinfließen sollten.

EU-weite Nutzenbewertung darf Standards nicht senken

Anfang Januar hatte das EU-Kommissariat für Aufsehen gesorgt, als es in einem Richtlinien-Entwurf vorschlug, alle Nutzenbewertungssysteme für Arzneimittel und viele Medizinprodukte in den EU-Mitgliedsstaaten gleichzustellen. Demnach sollte die Nutzenbewertung von Arzneimitteln und einigen Medizinprodukten in die Hände einer Koordinierungsgruppe aus Experten aller EU-Staaten gelegt werden. Der Vorschlag wurde von Vertretern der Pharmaindustrie unterstützt, erhielt aber Kritik von den Krankenkassen und dem Verein der demokratischen Pharmazeutinnen und Pharmazeuten.

Auch die AOK-Expertin Richard steht der Idee skeptisch gegenüber. Ihre Befürchtung ist es, dass die in Deutschland erarbeiteten Standards durch diese EU-weit gleiche Nutzenbewertung in Frage gestellt werden. Weiterhin sieht sie die Gefahr, dass die Entscheidungsprozesse in der EU nicht so transparent sein könnten, wie derzeit beim Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG). Die neu gebildete Große Koalition will sich gegen die Pläne der EU wehren und plant eine Subsidiaritätsrüge an die EU-Kommission schicken.

Hennrich unterstützt die Rüge. Sein Wunsch ist es, dass man sich nach der Rüge zusammensetze und in Ruhe über das Thema rede, sobald die „Emotionalität“ raus sei. Seiner Meinung nach würde eine Nutzenbewertung nur nach den Standards in Deutschland funktionieren. Zudem müssten in der EU klare Grenzen gezogen werden, wozu zum Beispiel die Preisbildung zählt. Anscheinend hat Deutschland aber inzwischen auch Mitstreiter gefunden: Laut Hennrich werden auch Frankreich, Spanien und „nordische Länder“ gegen die geplante Verordnung protestieren.

Philipp Huwe vom BAH erklärte dass es sich seiner Meinung nach lohne, über das Thema zu sprechen. Er merkte an, dass die Standards der Nutzenbewertung im Entwurf nicht genauer definiert werden. Von daher sollte man nicht in „alte Reflexe“ verfallen.



Dr. Mathias Schneider, Apotheker, Volontär DAZ
redaktion@daz.online


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