„Behördenversagen“

Bund und Land NRW sehen trotz Zyto-Urteil keinen weiteren Handlungsbedarf

Karlsruhe - 13.07.2018, 10:20 Uhr

Weder in Berlin beim BMG noch in Düsseldorf sieht man bezüglich der Apothekenüberwachung akuten Handlungsbedarf. (b / Foto: dpa)

Weder in Berlin beim BMG noch in Düsseldorf sieht man bezüglich der Apothekenüberwachung akuten Handlungsbedarf. (b / Foto: dpa)


Der Vorsitzende Richter beim Landgericht Essen hatte in seinem Urteil gegen den Zyto-Apotheker Peter S. den Fall auch als „Geschichte des Behördenversagens“ bezeichnet: Bei der Apothekenüberwachung sei die Verantwortung so aufgeteilt, dass sie am Ende niemand trage. Bundes- und Landesgesundheitsministerium wollen trotzdem nicht aktiv werden. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach will die Zyto-Herstellung hingegen in Kliniken verlagern.

Nachdem er den Bottroper Zyto-Apotheker wegen Unterdosierungen und Kassen-Betrugs zu zwölf Jahren Haft verurteilt und ein lebenslanges Berufsverbot ausgesprochen hatte, nahm der Vorsitzende Richter Johannes Hidding sich am vergangenen Freitag noch die Aufsichtsbehörden vor. Der Apotheker hätte nicht so lange so handeln können, wenn es eine wirksame Apothekenkontrolle gegeben hätte, sagte er. „Die Geschichte dieses Kriminalfalls ist auch eine Geschichte des Behördenversagens“, erklärte der Richter.

Auch die zuständige Amtsapothekerin hatte als Zeugin vor Gericht ausgesagt, dass es in den letzten Jahren nicht eine einzige wirksame Kontrolle der Apotheke von S. gegeben habe – als Grund wurden unter anderem Unklarheiten nach der Änderung der Apothekenbetriebsordnung genannt. Doch bei der Apothekenkontrolle seien alle Verwaltungsebenen beteiligt gewesen, sagte Hidding. „Die Verantwortung ist so aufgeteilt, dass sie am Ende niemand trägt.“

Mehr zum Thema

Für das Arzneimittelgesetz (AMG) ist in Deutschland der Bund zuständig, die Überwachung ist in Länderhand. Auf die Frage, wie angesichts des Bottroper Skandals sowie des Richterspruchs die Apothekenüberwachung gesetzlich reformiert werden soll, sieht das Bundesgesundheitsministerium (BMG) keinen Handlungsbedarf. Die Apothekenüberwachung „richtet sich nach den bereits existierenden bundesweiten Vorschriften des Arzneimittelgesetzes“, schreibt das Haus von Minister Jens Spahn.

Danach müssen sich die zuständigen Behörden davon überzeugen, dass die einschlägigen Vorschriften beachtet werden. „Die jeweilige Behörde hat unter Berücksichtigung möglicher Risiken in angemessenen Zeitabständen und in angemessenem Umfang sowie erforderlichenfalls auch unangemeldet Inspektionen vorzunehmen“, erklärt eine Sprecherin. Dabei könne sie Auskünfte verlangen und Unterlagen über die Herstellung und Prüfung von Arzneimitteln einsehen – sowie Proben entnehmen. „Die zuständigen Behörden sind verpflichtet, die Sache der Staatsanwaltschaft zuzuleiten, wenn sich bei der Überwachung des Arzneimittelverkehrs der Verdacht einer Straftat ergibt“, sagt sie.

Kritik des Gerichts bleibt unberücksichtigt

Das AMG ermögliche es Landesbehörden schon heute, die erforderlichen Kontrollen unter Berücksichtigung möglicher Risiken in eigener Verantwortung anzupassen, sagt sie. In Nordrhein-Westfalen sei dies geschehen: Dort wurden in den letzten Monaten in allen Zyto-Apotheken einmalig unangekündigt Proben von Zytostatika genommen. „Das Bundesministerium für Gesundheit geht davon aus, dass die bestehenden Vorschriften eine effektive Überwachung der Apotheken ermöglichen“, erklärt die Sprecherin. Auf die Kritik des Gerichts, dass die Verantwortung auf viele Ebenen verteilt sei, geht sie nicht ein.

Laut Grundgesetz Artikel 84 übt der Bund außerdem die Aufsicht darüber aus, ob die Länder die Bundesgesetze nach dem geltenden Bundesrecht ausführen – also auch, ob die im AMG geregelte Apothekenüberwachung gesetzeskonform umgesetzt wird. Zu diesem Zweck kann die Bundesregierung sogar Beauftragte zu den obersten Landesbehörden entsenden. Die Frage, inwiefern das BMG in den letzten Jahren diesen Aufsichtspflichten nachgekommen ist, lässt die Sprecherin gleichfalls unbeantwortet.

Das Land Nordrhein-Westfalen verweist auf Anfrage von DAZ.online lediglich auf die intensivere Überwachung der Herstellung patientenindividueller Zytostatikazubereitungen, die per Erlass geregelt worden war. Bis zum Wochenende sollen die unteren Gesundheitsbehörden dem Landesgesundheitsministerium die Ergebnisse der einmaligen Überprüfungen übermitteln. „Die Ergebnisse der Inspektionen werden vom Ministerium anschließend zeitnah und in geeigneter Weise im Internet veröffentlicht“, erklärt ein Sprecher. Auch er geht nicht auf die Kritik des Gerichts an der Verantwortungsverteilung ein.

Lauterbach will Zyto-Herstellung in Kliniken

Der Skandal und die  Apothekenüberwachung sind auch Thema im Bottroper Stadtrat. Die dortige Fraktion der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) zeigt sich in einer Pressemitteilung mit dem Strafmaß für Peter S. zufrieden – und verweist gleichzeitig auf die Probleme bei der kommunalen Apothekenaufsicht. „Wir haben hier schon vor geraumer Zeit Akteneinsicht genommen und waren über das Vorgefundene mehr als unzufrieden“, sagt Fraktionsvorsitzende Marianne Dominas.

Bislang übernahm aufgrund einer Verwaltungsvereinbarung der Kreis Recklinghausen die Apothekenüberwachung für Bottrop. Aufgrund des Skandals lösten die Gemeinden dieses Konstrukt nun auf und installierten jeweils eigene Amtsapotheker. Dies habe sich in Gesprächen mit der Verwaltung „als zwingend notwendig“ herausgestellt, schreibt die ÖPD Bottrop. „Aber es bleibt dabei, dass es weitere Gesetzesänderungen geben muss und wir kommunal auch darauf achten müssen, ob die neu konzipierte Apothekenaufsicht nun wirksam genug ist, um solche kriminellen Aktivitäten in Zukunft zu verhindern“, sagt Dominas. „Wir mussten erkennen, dass die Apothekenaufsicht in unserer Stadt versagt hat, aber wir haben bislang keinerlei Anhaltspunkte für eine vorsätzliche schuldhafte Verstrickung innerhalb der Verantwortlichen in der Stadtverwaltung.“

Ihre Partei hält es darüber hinaus für zweckmäßig, dass die Zyto-Herstellung nur noch Universitäts-Kliniken erlaubt sein soll, „um die Möglichkeit einer persönlichen Bereicherung von Vornherein auszuschließen“. Auch SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach hatte sich schon im vergangenen Jahr für eine exklusive Herstellung in der Klinik ausgesprochen. „Dort herrscht ein Mehr-Augen-Prinzip, dort sind die Beschäftigten keine Selbstständigen, die Millionen-Gewinne damit machen, sondern Angestellte“, sagte er zur Herstellung in Kliniken. „Im Falle einer Übertretung wären sie auch anklagbar wegen Korruption.“ Dafür sprächen auch wichtige Qualitätsargumente.

Gegenüber dem Schleswig-Holsteinischen Zeitungsverlag wiederholte er dies nun. „Das würde die Kontrollen erleichtern sowie die Anreize für Fehlverhalten senken“, sagte der SPD-Fraktionsvize am Mittwoch. Aufgrund der hohen Krankenhausdichte sei weiterhin eine lokale Produktion möglich. „Es gibt keine lukrativere Apotheke, als jene, die Chemotherapien herstellt“, sagte Lauterbach. Dass der Verband der Zytostatika herstellenden Apothekerinnen und Apotheker (VZA) diese „Einkommensperlen“ nicht schließen will, sei nachvollziehbar. Nach der Sommerpause wolle er im Gesundheitsausschuss des Bundestags dieses Thema diskutieren. Um verlorenes Vertrauen wiederherzustellen, sei das Wichtigste, dass sich die Apotheker überlegen, wie viel Selbstkontrolle möglich ist, sagte Lauterbach. „Ich würde mir wünschen, dass wir vonseiten der Apothekerkammer entsprechende Vorschläge präsentiert bekommen.“



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


0 Kommentare

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.