DAZ.online-Miniserie „Jüdische Apotheker“ (4)

Versuche der Wiedergutmachung

Berlin - 18.08.2018, 07:55 Uhr

Im Zweiten Weltkrieg verloren auch viele jüdische Apotheker ihr Leben, in den Trümmern wurden viele Apotheken zerstört. Teil 4 der DAZ.online-Miniserie über jüdische Apotheker dreht sich um die Frage, wie es für die Überlebenden Pharmazeuten weiterging. ( r / Foto: Imago)

Im Zweiten Weltkrieg verloren auch viele jüdische Apotheker ihr Leben, in den Trümmern wurden viele Apotheken zerstört. Teil 4 der DAZ.online-Miniserie über jüdische Apotheker dreht sich um die Frage, wie es für die Überlebenden Pharmazeuten weiterging. ( r / Foto: Imago)


Der Fall des Apothekers B. – Entschädigungsverfahren in der Pharmazie

Der Fall des Apothekers B. ist ein gut dokumentierter. In den Jahren 1950 bis 1955 beschäftigte das Entschädigungsverfahren des Berliner Apothekers die Öffentlichkeit. Der jüdische Apotheker B. hatte 1933 die Verwaltung der Berliner Apotheke „Zum schwarzen Adler“ übernommen. Ein Jahr später schloss er für dieses Privileg einen zehnjährigen Pachtvertrag mit einer Verlängerungsmöglichkeit um weitere zehn Jahre ab. Da ab 1936 jüdischen Apothekern das Leiten von Apotheken untersagt war, verlor er den Pachtvertrag. Die NS-Zeit überlebte der in einer sogenannte „Privilegierten Mischehe“ lebende Pharmazeut durch Ausführung von Zwangsarbeit.

Nach Kriegsende übernahm B. die Verwaltung der Utrechter Apotheke in Berlin-Wedding. Einige Zeit später wurde er Pächter dieser Apotheke. Nach dem Tod der Inhaberin der Personalkonzession, mussten die Verwaltungsbehörden über die Neuvergabe entscheiden. Laut Bundesentschädigungsgesetz stand B. die Wiederaufnahme der alten Tätigkeit oder eine entsprechende Tätigkeit zu. Doch dem standen die Regelungen der Konzessionsvergabe entgegen. Bei ansonsten gleichen Voraussetzungen sollte das höhere „Betriebsberechtigungsalter“ der Bewerber entscheidend sein und B. stand so nur an 34. Stelle der Bewerber. Mehrere Jahre musste er dafür kämpfen, bis schließlich im Entschädigungsverfahren entschieden wurde, dass sein Entschädigungsanspruch rechtmäßig war und er Vorrang vor allen anderen Bewerbern hatte, die lediglich nur eine Anwartschaft auf die Betriebsrechte hatten, aber im Gegensatz zu B. keinen Rechtsanspruch. 

Gegen das Vergessen – Stolpersteine des Gedenkens

Als Mahnung gegen das Vergessen werden seit 1996 die sogenannten Stolpersteine an die ehemaligen Wohnorte von Opfern des Holocausts verlegt. Stolpersteine dienen dem Gedenken. Das seit 1996 existierende Projekt des Künstlers Gunther Demning wendet sich gegen das Vergessen und lässt ansonsten ahnungslos gebliebene Passanten im übertragenen Sinne über fremde Schicksale stolpern. „Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist“, zitiert Gunter Demnig auf der Website „Stolpersteine“ den Talmud. Die kleinen Messingtafeln werden jeweils niveaugleich zum Straßenbelag eingelassen. Im Mai 2018 gab es rund 69.000 Stolpersteine, die außer in Deutschland auch in 23 weiteren europäischen Ländern verlegt sind.  

Stolperstein für den jüdischen Apotheker Adolf Mockrauer. (Foto: Inken Rutz)

Der am 16. Juni 2018 vor der ehemaligen Albrecht-Dürer-Apotheke in Berlin-Britz gesetzte Stolperstein erinnert an das Schicksal des jüdischen Apothekers Adolf Mockrauer. Der beliebte Apotheker konnte ab 1936 nach Inkrafttreten des „Gesetzes über die Verpachtung und Verwaltung öffentlicher Apotheken“  seine Apotheke nicht mehr selbst leiten. Allerdings erhielt er die Möglichkeit, unter dem nun eingesetzten Pächter in der Apotheke weiterzuarbeiten. In der Reichspogromnacht im November 1938 wurde er Opfer einer Schlägertruppe der SA, die die Apothekeneinrichtung zertrümmerte und ihn zusammenschlug. Mockrauer entschloss sich daraufhin zur Flucht nach Chile, wo er sich 1940 aus Verzweiflung das Leben nahm. Auf seinem Stolperstein steht: „Hier wohnte Adolf Mockrauer. JG. 1868. Flucht 1939. Chile. Flucht in den Tod. 16.9.1940.“

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Umgang mit den Opfern der Shoah in Israel

Der Umgang mit den Opfern des Nationalsozialismus ist tragender Teil des Geschichtsbewusstseins und der Erinnerungskultur in Israel. Der Shoah wird in Israel eine zentrale Stellung beigemessen. Shoah („Katastrophe“, „großes Unglück“)  ist der in Israel und von Juden bevorzugte Begriff für die Vernichtung der Juden im Nationalsozialismus. Doch wie angemessen mit der Ermordung von sechs Millionen Menschen umgehen? Kaum ein Thema ist so emotional – und schwierig. Heute gibt es in Israel etwa zehn Shoahgedenkstätten, viele Denkmäler und unzählige Gedenksteine. Das Spektrum der Gedenkformen in Israel ist weit gefächert und reicht vom privaten bis zum öffentlichen und offiziellen Gedenken.

Trotzdem droht auch in Israel das Gedenken an die Shoah mit wachsendem zeitlichem Abstand an Bedeutung einzubüßen. Gruppen junger Israelis protestierten daraufhin vermehrt und wehrten sich gegen die Unkenntnis ihrer Generation zu diesem Thema. Vielfältig und gleichzeitig kontrovers ist der Umgang mit der Shoah in Israel. Die Shoah wird dennoch nie vergessen sein – zu tief ist sie in dem Bewusstsein der Menschen verankert. Das Gedenken ist wichtig – nicht nur in Israel.

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Die Artikel-Serie „Jüdische Apotheker“ der DAZ.online bezieht sich unter anderem auf das Buch von Frank Leimkugel „Wege jüdischer Apotheker“ bezüglich der Situation in Deutschland und auf die Arbeit von Esther Hell „Jüdische Apotheker im Fadenkreuz“, das die Situation jüdischer Pharmazeuten in Hamburg analysiert. Exemplarische Schicksale jüdischer Apotheker werden auf Basis der bereits benannten Quellen und einzelner im Internet verfügbarer Quellen beschrieben.

Die Datenlage zur Situation jüdischer Apotheker in Deutschland rund um die NS-Zeit – Zeitraum der DAZ.online-Miniserie – ist allgemein lückenhaft. Bedingt durch die geschichtlichen Ereignisse sind Akten und Schriftstücke der damaligen Behörden und betreffenden Organisationen im größeren Umfang vernichtet worden bzw. verschollen. Den Arbeiten von Leimkugel und Hell liegen unter anderem die Auswertungen vorhandener Dokumente verschiedener Landes- und Stadtarchive, einzelner Archive zur pharmazeutischen Geschichte, des Leo Baeck Institutes zur Geschichte und Kultur des deutschsprachigen Judentums, des Amtes für Wiedergutmachung und der Entschädigungsbehörde Berlin zugrunde.



Inken Rutz, Apothekerin, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


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