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VOASG im Bundestag
Der lange Weg des Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetzes
Seit Oktober 2016 herrscht ein ungleicher Wettbewerb zwischen deutschen Apotheken und Arzneimittelversendern aus dem EU-Ausland. Denn seit einem damals ergangenen Urteil des Europäischen Gerichtshofs müssen sich letztere nicht an die Preisbindung für verschreibungspflichtige Arzneimittel halten, sondern dürfen mit Rezept-Boni locken. Vier Jahre haben die Apotheker auf eine Antwort der Politik auf diese Schieflage gewartet. Heute am späten Nachmittag soll sie der Deutsche Bundestag beschließen – in Form des Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetzes. Blicken Sie mit DAZ.online zurück auf die Genese des Gesetzes.
Die ersten Eckpunkte für das spätere Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG) bringt Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) am 11. Dezember 2018 der ABDA-Mitgliederversammlung mit. Schon seine Präsenz bei diesem Treffen ist ein Novum – die Apotheker waren höchst gespannt, welche Vorschläge der Minister unterbreiten würde. Doch vor allem seine Ideen zur Lösung der Boni-Problematik kommen gar nicht gut an. Im ersten Aufschlag bringt Spahn nämlich einen Rx-Boni-Deckel von 2,50 Euro für ausländische Versender ins Spiel.
Sofern der ausländische Versandhandel einen größeren Marktanteil von mehr als
5 Prozent erreicht, sollen die Möglichkeiten der Boni-Gewährung geprüft und reduziert werden. Von Anfang an geplant ist aber, dass die Einhaltung der Preisvorschriften zum Gegenstand des Rahmenvertrags werden soll. Zu den ersten Eckpunkten gehören weiterhin Maßnahmen, die die freie Apothekenwahl gewährleisten sollen: das Beeinflussungsverbot für Kassen und das Makelverbot. Zudem soll die Notdienstpauschale erhöht werden (vorgesehen ist eine Verdopplung des Zuschlags für den Notdienst auf 32 Cent), ebenso die BtM-Vergütung.
Weiterhin will man den Botendienst ausbauen und endlich definieren, um die Abgrenzung zum Versand zu erleichtern. Nicht zuletzt ist vorgesehen, eine Ermächtigungsgrundlage für honorierte pharmazeutische Dienstleistungen zu schaffen. Ein Finanzrahmen von 240 Millionen Euro ist hierfür angedacht; es soll dazu ein neuer Festzuschlag in Höhe von 32 Cent je Rx-Packung eingeführt werden.
ABDA: Klares Nein zu gedeckelten Boni
Vor allem der Boni-Deckel missfällt den Apothekern allerdings mächtig. Dennoch erklärt ABDA-Präsident Friedemann Schmidt nach Spahns Besuch in der Mitgliederversammlung, „dass es sich lohnt, dass wir uns intensiv und konstruktiv mit dem Angebot aus dem Ministerium auseinandersetzen“ – schließlich sind einige der Eckpunkte zweifelsohne attraktiv. Schon zu diesem Zeitpunkt ist klar: Das Rx-Versandverbot steht für die ABDA nicht mehr an höchster Stelle – denn Spahn hatte deutlich gemacht, dass er das Verbot nicht will.
Mitte Januar 2019 kommt die ABDA-Mitgliederversammlung dann erneut zusammen, um eine gemeinsame Position zu den Spahn'schen Vorschlägen zu beschließen. Sie verfasst ein eigenes Papier mit den aus ihrer Sicht wichtigen Punkten für eine Reform im Apothekenmarkt. Darin übernimmt sie viele der Ideen des Ministers – doch was die Boni betrifft, will die ABDA mehr: Rx-Boni sollen gänzlich verboten werden – und zwar in der GKV (mit Sanktionsmöglichkeiten), aber auch für Privatversicherte und Selbstzahler.
Bewegung beim Honorar für Dienstleistungen, Streichung von
§ 78 Abs. 1 Satz 4 Arzneimittelgesetz
Mitte März folgt ein überarbeitetes Eckpunktepapier aus dem Bundesgesundheitsministerium (BMG). Vom Boni-Deckel ist nun keine Rede mehr. Weiterhin heißt es aber, dass die Einhaltung der Arzneimittelpreisverordnung Gegenstand des Rahmenvertrags werden soll – bei Bedarf soll sanktioniert werden. Erstmals ist auch explizit die Rede davon, § 78 Abs. 1 Satz 4 Arzneimittelgesetz zu streichen – die Norm, die die Preisbindung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln auf EU-Versender überträgt.
Abgespeckt wird dafür bei den vorgesehenen zusätzlichen Vergütungen. Der Festzuschlag je Rx-Packung für die Notdienstpauschale soll nur noch von 16 auf
21 Cent erhöht werden. Zur Finanzierung der zusätzlichen pharmazeutischen Dienstleistungen soll es nur noch 14 Cent pro Rx-Packung geben. Die ABDA findet die Abkehr vom Deckel und den neuen Weg in Richtung Gleichpreisigkeit zwar gut – das gilt allerdings nicht für die Abstriche beim Honorar.
April 2019: erster Referentenentwurf
Anfang April 2019 nehmen die Eckpunkte dann konkrete Gestalt an: Das BMG legt seinen Referentenentwurf für das „Gesetz zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken“ vor. Er sieht Ergänzungen in § 129 SGB V vor, die für dafür sorgen sollen, dass alle Apotheken, die nach Maßgabe des Rahmenvertrags versorgen, an die Arzneimittelpreisverordnung gebunden sind. Verstöße gegen diese Vorgaben sollen mit Vertragsstrafen in Höhe von bis zu 50.000 Euro oder einem bis zu zweijährigen Versorgungsausschluss geahndet werden.
Was die Dienstleistungen betrifft, ist nun ein Fixzuschlag von 20 Cent je verschreibungspflichtiger Arzneimittelpackung vorgesehen, beim Zuschlag für den Nacht- und Notdienstfonds soll es bei 21 Cent bleiben. Der Botendienst soll nicht mehr nur im Einzelfall zulässig sein. Vorgesehen ist zudem, dass auch eine Beratung im Wege der Telekommunikation erfolgen kann, wenn eine Arzneimittelverordnung per Bote beliefert wird. Zudem enthält der Entwurf einige weitere Regelungen. So soll etwa die sogenannte Länderliste entfallen (im späteren Kabinettsentwurf ist diese Streichung allerdings wieder aufgehoben) und automatisierte Arzneimittelausgabestationen sollen geregelt werden. Ebenfalls geplant sind nun Modellprojekte zu Grippeschutzimpfungen in der Apotheke und Wiederholungsverordnungen.
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In ihrer Stellungnahme zum Referentenentwurf setzt sich die ABDA entschlossen für den Erhalt der Preisbindung ein – § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG dürfe auf keinen Fall gestrichen werden. Zudem fordert sie unter anderem eine Ausweitung des Zuweisungsverbots sowie ein erhöhtes und dynamisiertes Honorar für neue Dienstleistungen. Klare Worte zur Preisbindung bringt sie auch in die Verbändeanhörung im Mai ein.
Juli 2019: Kabinett beschließt Gesetzentwurf
Als im Juni eine erste Version des Kabinettsentwurfs vorliegt, zeigt sich aber, dass die Sorgen der Apotheker nur teilweise erhört wurden. Insbesondere bleibt es bei der Streichung von § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG. Unverändert sollen auch Privatversicherte beim Rx-Boni-Verbot außen vor bleiben. Nachjustiert wird an der Regelung zur Preisbindung in § 129 SGB V. Zudem wird entschieden, dass das Bundeswirtschaftsministerium die höhere Notdienstpauschale und die erhöhte BtM-Vergütung separat und per Verordnung regeln soll.
Das BMG feilt noch einige Male nach, ehe das Bundeskabinett im Juli 2019 dann den Gesetzentwurf sowie den zugehörigen Entwurf für eine Änderungsverordnung beschließt. Nicht zuletzt an der Begründung für das sozialrechtliche Rx-Boniverbot wird geschliffen – schließlich gibt es einige Stimmen, die daran zweifeln, dass die bisherige Variante europafest ist. Während die Änderungsverordnung, die nun überdies die Neuregelung des Botendienstes enthält und ein PKV-aut-idem vorsieht, zwar auf das Ende der parlamentarischen Sommerpause warten muss, ehe der Bundesrat grünes Licht geben kann, sonst aber keine Widerstände überwinden muss, sieht es beim VOASG anders aus. Spahn kündigt an, dass er das Gespräch mit der EU-Kommission suchen will, um sicherzustellen, dass diese ihm seine Reform nicht schon vorab zerpflückt. Auf dem Deutschen Apothekertag 2019 in Düsseldorf bekräftigt der Minister, dass er zunächst die Stellungnahme der EU-Kommission abwarten will, bevor es mit dem VOASG weitergehen kann. Die für Oktober 2019 geplante erste Lesung im Bundestag wird wieder von der Tagesordnung des Parlaments gestrichen.
September 2019: erste Runde im Bundesrat
Der nächste Schritt im Gesetzgebungsverfahren ist im September 2019 eine erste Runde im Bundesrat. Die Länder beschließen eine Stellungnahme, in der sie unter anderem das Rx-Versandverbot fordern. Das Rx-Boni-Verbot im SGB V lehnen sie ab. Allerdings ist das Gesetz nicht zustimmungspflichtig. Sodann passiert lange Zeit nichts mit dem VOASG-Entwurf. Die Gegenäußerung der Bundesregierung zur Stellungnahme der Länder erfolgt erst im August 2020 – wenig überraschend lehnt das BMG die Forderung nach dem Rx-Versandverbot ab.
Während die Politik und die Apotheker über den Jahreswechsel bis hin zum Herbst 2020 auf ein Signal aus Brüssel warten, treten nicht nur die neuen Regeln zum Botendienst und zur Notdienstpauschale in Kraft. Auch andere Regelungen des VOASG werden herausgelöst und finden sich in anderen Gesetzentwürfen wieder: Die Modellprojekte für Grippeschutzimpfungen und die Wiederholungsrezepte landen im Masernschutzgesetz, das im März 2020 in Kraft tritt. Die Regeln zum Zuweisungs-, Beeinflussungs- und Makelverbot wandern ins Patientendaten-Schutzgesetz und werden im Oktober wirksam.
September 2020: Endlich im Bundestag angekommen
Die Ungeduld wächst – wann geht es nun weiter mit dem VOASG? Eine Nachfrage der FDP-Bundestagsfraktion bringt zutage: Es gab bis Ende Juli 2020 neun Gespräche zwischen EU-Kommission und BMG auf höchster Ebene – jedoch kein Ergebnis. Im September 2020 meint auch die Große Koalition, dass das Warten ein Ende haben muss.
Und dann geht es plötzlich Schlag auf Schlag. Der Gesetzentwurf wird zur ersten Lesung in den Bundestag eingebracht. Kurz zuvor wird das vom BMG beauftragte Gutachten des IGES-Instituts zum Apothekenmarkt veröffentlicht. Dieses trägt allerdings wenig zu Fragen des Gesetzgebungsprozesses bei, sondern nimmt eher die Auswirkungen der Einführung des E-Rezepts in den Blick. Es folgt die öffentliche Anhörung zum Gesetzentwurf im Gesundheitsausschuss des Bundestags.
Post aus Brüssel
Anfang Oktober kommt endlich Post aus Brüssel: ein Brief von EU-Binnenmarktkommissar Thierry Breton an Spahn. Als Freifahrtschein für das VOASG ist dieser sicher nicht zu interpretieren. Aber zumindest pfeift der Kommissar das Gesetz nicht zurück. Breton preist vielmehr die Vorzüge des E-Rezepts an – und will über den Ausgang des VOASG-Gesetzgebungsprozesses informiert werden. Kein Stopp-Schild für Spahns Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz, aber auch kein grünes Licht, wie oft herbeigeschrieben.
Doch Spahn und der Großen Koalition reicht das Signal des Kommissars. Damit ist der Weg endgültig frei für das VOASG. Am gestrigen Mittwoch war der Gesetzentwurf nochmals Thema im Gesundheitsausschuss des Bundestags: Die Koalitionsfraktionen beschlossen ein Paket von Änderungsanträgen. Bereits erledigte Teile des Gesetzes wurden gestrichen. Dafür wurden neue aufgenommen: Eine Botendienstvergütung in Höhe von 2,50 Euro netto pro Lieferung und eine Klarstellung, dass auch EU-Versender den Anforderungen an den Versandhandel im Apothekengesetz und der Apothekenbetriebsordnung genügen müssen – und zwar „einschließlich der Einhaltung der Temperaturbedingungen“.
Heute ist nun wieder das Parlament an der Reihe, um das Gesetz auf die Zielgrade zu bringen. Den Schlusspunkt wird dann der Bundesrat setzen. Inkrafttreten soll das Gesetz noch in diesem Jahr.
2 Kommentare
Vielleicht doch eine gute Sache, das VOASG?
von Wolfgang Müller am 29.10.2020 um 11:04 Uhr
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Langer Weg
von Conny am 29.10.2020 um 9:39 Uhr
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