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30. Oktober 2020
Der Bundestag hat am Abend des 29. Oktobers 2020 das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz (VOASG) verabschiedet. Über anderthalb Jahre zogen sich die harten, frustrierenden und zum Teil ätzenden Diskussionen zu diesem Gesetz hin. Kristallisationskeim war das EuGH-Urteil vom Oktober 2016, das einen ungleichen Wettbewerb zwischen deutschen Apotheken und Arzneimittelversendern aus dem EU-Ausland etablierte – da musste sich etwas tun. Die beste Lösung, nämlich ein Versandverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel, überzeugte den Bundesgesundheitsminister nicht – obwohl viele Juristen einem Rx-Versandverbot große Chancen eingeräumt hatten. Mein liebes Tagebuch, es war streckenweise zum Heulen, wie dieser Weg im Lauf der Diskussion manchmal schon in greifbare Nähe gerückt war, aber dann doch in der politischen Debatte als Sackgasse bezeichnet wurde. Hinzukamen der Zeitgeist, der die Zukunft im Versand sieht, und eine ABDA, die nach unserem Geschmack zu rasch vor den „Angeboten“ des Gesundheitsministers einknickte, der zwischenzeitlich damit gedroht hatte: Entweder kommt das Gesetz so, wie ich es will oder es kommt gar nicht. Jetzt haben wir also ein VOASG, das eine Gleichpreisigkeit für verschreibungspflichtige Arzneimittel nur im GKV-Bereich bringen will und uns die Möglichkeit für honorierte pharmazeutischen Dienstleistungen in Aussicht stellt. Unsere ABDA begrüßte das verabschiedete VOASG grundsätzlich, wie sie mitteilt. Der ABDA-Präsident meinte, Apotheken könnten nun mit mehr Zuversicht als bisher nach vorne schauen. Ups, mein liebes Tagebuch, Zuversicht? Welche Zuversicht? Wenn wir jetzt nach vorne schauen, dann sehen wir schon die dunklen Wolken am europolitischen Himmel, die sich da zusammenbrauen. Denn bereits in der Schlussdebatte des Bundestags machten Gesundheitspolitiker*innen deutlich, dass das VOASG nur einen „einstweiligen Schlussstrich“ unter die seit vier Jahren geführten Diskussionen rund um das Versandhandelsverbot und die Gleichpreisigkeit setzen wird. Im Klartext: Es wird nicht allzu lange dauern und das VOASG landet wieder vor dem EuGH. Der Verband der Europäischen Versandapotheken hält das im VOASG enthaltene Bonusverbot für „eindeutig europarechtswidrig“, man sei bereit zu klagen. Auch einige Mitgliedsorganisationen der ABDA sehen das VOASG durchaus kritisch. Klaus Michels, Chef des Apothekerverbands Westfalen-Lippe, geht davon aus, dass über kurz oder lang die Preisbindung für Rx-Arzneimittel ganz wegfallen wird. Mein liebes Tagebuch, die juristischen Auseinandersetzungen werden weitergehen. Und was unsere geliebten pharmazeutischen Dienstleistungen betrifft, so fangen die Probleme jetzt erst richtig an: Der GKV-Spitzenverband hält davon nämlich wenig bis nichts. Die ABDA wird mit Engelszungen für ihre noch geheimen Dienstleistungen bei den Krankenkassen werben und – die Honorare dafür aushandeln müssen. Angesichts eines bescheidenen Honorartöpfchens, das viel zu wenig Euro für unsere potenziellen Leistungen enthält – was soll da dabei herumkommen? Fazit: Das VOASG, das noch in diesem Jahr in Kraft treten soll, bringt uns eine nur kurze Verschnaufpause – und schon bald werden wir uns wieder Klagen und Prozesse gegenübersehen, an deren Ende vermutlich das Ende der Gleichpreisigkeit, ein paar kleine unzureichend honorierte Dienstleistungen und immer noch lange keine Erhöhung unseres Apothekerhonorars stehen wird. Denn darum kümmerte sich unsere Berufsvertretung schon lange nicht mehr.
Die Streitereien um eine mögliche Abgabe von Antigen-Schnelltests auf SARS-CoV-2 in Apotheken ist, gelinde gesagt, ein Tohuwabohu sondergleichen. Es geht dabei nicht um solche Tests, die aufgrund von Bestimmungen der Medizinprodukte-Abgabeverordnung nicht an Laien abgegeben werden dürfen. Solche Tests dürfen auch nicht in Apotheken verkauft werden. Nun gibt es aber Probeentnahmekits für Laien, die nach Entnahme und Auftragung der Probe an Labore eingeschickt werden. Solche Tests werden bereits in Drogerien, im Versandhandel verkauft. Selbst das Bundesgesundheitsministerium sagt, dass solche Testkits „nicht grundsätzlich § 3 Absatz 4 der Medizinprodukte-Abgabeverordnung“ unterliegen und verweist auf die Landesebene, die das überprüft. Und da fängt das Durcheinander an: Das dafür zuständige Hessische Ministerium für Soziales und Integration ist der Meinung, dass sowohl die Schnelltests als auch die Probeentnahmekits nicht an Laien abgegeben werden dürfen. Was wiederum den Hessischen Apothekerverband dazu bewegt, eine Warnung an seine Mitglieder auszusprechen, vom Verkauf der Testkits abzusehen. Mein liebes Tagebuch, in anderen Bundesländern kann das wieder anders sein. Das sind die Momente, wo man sich einen Zentralismus wünscht. Das Internet jedenfalls schert sich um die Ländergrenzen nicht, Bundesbürger aller Bundesländer können sich ihre Testkits im Netz bestellen.
So richtig befriedigende Lösungen für Apotheken, die von der AvP-Insolvenz betroffen sind, gibt es immer noch nicht. Im Gegenteil, viele dieser Apotheker*innen fühlen sich vom Staat im Stich gelassen. Apothekerin Beatrice Guttenberger hat von der Untätigkeit in Politik und ABDA die Nase voll. Selbst ist die Frau: Sie gründete die neue Organisation „Verbund Starke Apotheken“, die den Kolleginnen und Kollegen zur Seite stehen will. Ein Brandbrief an die Bundeskanzlerin, an einige Bundes- und Landesminister ist bereits unterwegs. Darin heißt es u. a.: „Wir sind enttäuscht, empört, fassungslos über Ihre Untätigkeit…“, „wir werden schändlich im Stich gelassen.“ Man wolle nichts geschenkt, schreibt sie weiter, „das mindeste, was wir aktuell erwarten, ist die Ausschüttung der zugesicherten Quote aus der AvP-Insolvenzmasse in Form eines Fonds“. Mein liebes Tagebuch, gut so, das zeigt die Not vieler Apothekerinnen und Apotheker, die zum Teil selbst auf eine Insolvenz zusteuern. Hoffen wir, dass die Politik sich bewegt.
Und während dieser Brief unterwegs ist, kommen Hiobsbotschaften von den Banken: Die von der Politik in Aussicht gestellten KfW-Kredite scheiterten zum Teil an formalen Hürden. Mein liebes Tagebuch, unglaublich, um das zu verstehen, müsste man gelernter Bankkaufmann sein. Andererseits, so hört man, sollen bereits etwas 250 Apotheken solche KfW-Kredite erhalten haben. Auch hier ein unsägliches Durcheinander und das in größter Not.
10 Kommentare
Aufwachen
von Reinhard Rodiger am 01.11.2020 um 20:07 Uhr
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Wette machen?
von Bernd Jas am 01.11.2020 um 13:55 Uhr
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Eigentum an den Rezepturkunden
von Josef Giesing am 01.11.2020 um 11:58 Uhr
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Scham
von Reinhard Rodiger am 01.11.2020 um 11:57 Uhr
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Tagebuch: Abschnitt RXVV
von Heiko Barz am 01.11.2020 um 11:26 Uhr
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AW: Tagebuch: Abschnitt RXVV
von Dr.Diefenbach am 01.11.2020 um 12:11 Uhr
Ganz einfach
von Karl Friedrich Müller am 01.11.2020 um 8:14 Uhr
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AW: Ganz einfach ... nicht studieren ... Apo kann doch jeder Politiker.
von Christain Timme am 01.11.2020 um 8:50 Uhr
AW: Ganz einfach
von Karl Friedrich Müller am 01.11.2020 um 10:32 Uhr
AW: Ganz einfach
von Thomas Kerlag am 01.11.2020 um 19:43 Uhr
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