Welt-MS-Tag

MS-Arzneimittel: grundsätzlich immer lebenslang?

Stuttgart - 28.05.2021, 17:50 Uhr

Wie sollte im Jahr 2021 nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft Multiple Sklerose behandelt werden?(Foto: decade3d / AdobeStock)

Wie sollte im Jahr 2021 nach dem derzeitigen Stand der Wissenschaft Multiple Sklerose behandelt werden?(Foto: decade3d / AdobeStock)


Wann welches MS-Arzneimittel?

In den letzten drei Jahren hat sich einiges getan, was die Zulassung von MS-Arzneimitteln betrifft: Mit Ocrelizumab kam 2018 die erste Therapieoption für Patienten mit PPMS. Im selben Jahr erhielt Fingolimod eine Zulassungserweiterung und darf seither auch bei Kindern ab zehn Jahren mit hochaktiver schubförmiger MS angewendet werden. Auch für Patienten mit Diagnose einer sekundär progredienten MS gibt es seit 2020 eine neue Behandlungsmöglichkeit: Siponimod (Mayzent®). Wie auch das altbekannte Fingolimid ist Siponimod ein Sphingosin-1-Phosphat(S1P)-Rezeptor-Modulator und verhindert, dass Lymphozyten aus den Lymphknoten austreten und ins ZNS gelangen. Eingesetzt werden darf Siponimod bei SPMS, die aktiv oder hochaktiv verläuft (Schübe und MRT-Aktivität). Das gleiche Prinzip verfolgt der im selben Jahr zugelassene dritte S1P-Rezeptormodulator Ozanimod (Zeposia®). Dieser ist zugelassen bei aktiver schubförmig-remittierender MS. Noch nicht in der Leitlinie aufgenommen ist Ofatumumab (Kesimpta®): Der B-Zell-Antikörper darf erst seit März 2021 in der EU angewendet werden, und zwar bei schubförmiger MS mit aktivem Verlauf. Es ist der erste B-Zell-Antikörper zur subcutanen Selbstverabreichung.

Arzneimittel der Wirksamkeitskategorie 1 sieht die Leitlinie vor, wenn „kein wahrscheinlich hochaktiver Verlauf“ vorliegt. Liegt hingegen ein „wahrscheinlich hochaktiver“ MS-Verlauf vor, können – bei therapienaiven Patienten, also MS-Patienten, die noch nie ein MS-Arzneimittel erhalten haben – Arzneimittel der zweiten und dritten Kategorie eingesetzt werden. Doch woher weiß man nun, ob bei bislang therapiefreien Patienten die Erkrankung „wahrscheinlich hochaktiv“ fortschreitet? Hier hilft die Leitlinie weiter: So sei von einem wahrscheinlich hochaktiven Verlauf auszugehen, wenn

  • ein Schub zu einer schweren alltagsrelevanten Einschränkung geführt hat (nach Schubtherapie) und/oder
  • sich der Patient von den ersten beiden Schüben schlecht erholt und/oder
  • die Schübe häufig sind und/oder
  • der Patient innerhalb eines Jahres einen EDSS von 3 oder höher erreicht und/oder
  • eine Beteiligung der Pyramidenbahn im ersten Krankheitsjahr vorliegt. [Unter Pyramidenbahn versteht man Nervenbahnen, die vom ZNS (Motocortex) zu den Motoneuronen ziehen. Sie sind für eine willkürliche Motorik verantwortlich und werden der Feinmotorik zugeordnet. Bei einer Schädigung kommt es zur Parese.]

Erhalten die Patienten bereits Arzneimittel der Wirksamkeitskategorie 1 und die MS verläuft dennoch „entzündlich aktiv“, soll nach Ansicht der Leitlinie eskaliert werden – je nach Krankheitsaktivität auf Arzneimittel der Kategorie 2 oder 3. Auch hier stellt sich jedoch die Frage: Was versteht man denn unter „entzündlich aktiv“? Dies ist der Fall, wenn trotz Immuntherapie

  • mindestens ein klinisch eindeutig objektivierbarer Schub oder
  • ein klinischer Schub und mindestens eine neue MS-typische Läsion in der MRT oder
  • sich bei schubfreien Patienten an mindestens zwei Zeitpunkten mindestens eine neue MS-typische Läsion in der MRT nachweisen lässt (Zeitraum: ein bis zwei Jahre)

Wie sieht die Behandlung von Patienten mit progredienter MS aus?

Was ist mit Patienten, die keine schubförmige Multiple Sklerose haben, sondern als Diagnose primär progrediente MS? Sie sollen der aktuellen Studienlage zufolge nur CD20-Antikörper – Ocrelizumab, Rituximab (off-Label) – erhalten. Vor allem jüngere Patienten scheinen von den B-Zell-depletierenden Behandlungen zu profitieren, hingegen sollte bei ab 50-jährigen Patienten die Indikation „sehr streng“ gestellt werden. Liegt eine sekundär progrediente MS-Erkrankung vor (SPMS) rät die Leitlinie zu Siponimod, Beta-Interferonen, Cladribin und CD20-Antikörpern. Junges Lebensalter, kurze Krankheitsdauer, geringer Behinderungsgrad, überlagerte Schübe oder rasche Zunahme der Behinderung und der Nachweis von entzündlicher Aktivität in der MRT seien Argumente für eine Immuntherapie.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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