DAZ: Gibt es dafür jetzt eine höhere Priorität auf EU-Ebene?
Liese: Ja, bei den Akteuren ist das auf jeden Fall angekommen – auch bei der Kommissionspräsidentin und der Kommissarin. Ich hoffe, dass die Mitgliedstaaten entsprechend mitziehen – da bin ich mir aber nicht bei allen sicher. Meine Kritik an Gesundheitsminister Lauterbach ist, dass er auf europäischer Ebene nicht sehr interessiert und nicht sehr gut vernetzt ist. Er hat auf meine Fragen bisher nicht geantwortet. Wir können das Problem nur gemeinsam lösen. Niemand wird eine Arzneimittelfabrik in Europa bauen, nur weil Deutschland irgendwelche Prioritäten setzt. Herr Lauterbach vermittelt den Eindruck, er habe mit seinen Initiativen in den vergangenen Monaten das Problem schon gelöst. Das ist es aber ganz sicher nicht.
„Wir müssen bei Generika mehr Geld ins System geben“
DAZ: Was ist Ihr Hauptkritikpunkt an den Lauterbach-Vorschlägen?
Liese: Es ist richtig, Arzneimittel für Kinder besser zu honorieren und bei den Ausschreibungen stärker darauf zu achten, dass neben dem Preis auch die Produktion innerhalb der EU zählt. Aber erster Kritikpunkt: auch Arzneimittel für Erwachsene sind knapp und das führt zu dramatischen Situationen – etwa bei Herz- oder Krebsarzneimitteln sowie bei Mitteln gegen psychische Erkrankungen. Dort hat er keine Initiative ergriffen. Zweitens: Die Kostenträger, also die Krankenkassen, sehen keine Notwendigkeit, bei den Generika mehr Geld in das System zu geben. Ich sehe das anders: Das müssen wir tun. Allerdings ist die Kritik der Kassen berechtigt, dass die Maßnahme allein in Deutschland die Produktion in Europa zu honorieren, verpufft. Herr Lauterbach müsste die Maßnahmen mit seinen europäischen Kollegen gemeinsam umsetzen. Damit würde man den Herstellern das Signal geben: Das lohnt sich für euch – weil der Markt deutlich größer ist.
DAZ: Die Arzneimittelproduktion zurück nach Europa zu holen – in welchen Zeiträumen muss man da denken?
Liese: Es gibt zwei Punkte auch mit kurzfristiger Wirkung. Es gibt hierzulande Produktionsstätten und Kapazitäten, die nicht genutzt werden. Ein Generika-Hersteller erzählte mir, dass er sofort mit der Produktion starten könnte, alle Anlagen und Kapazitäten und Personal stünden bereit, aber er geht nicht in den Markt, weil er kein Minus machen will. Der zweite Punkt ist: Wir brauchen 6 bis 7 Jahre, bis eine neue Arzneimittelfabrik in Europa genehmigt und gebaut ist. Die Hälfte der Zeit vergeht für Genehmigungsverfahren. Das muss man beschleunigen. Wir werden in Deutschland weder Arzneimittelengpässe, Wirtschaftskrise noch Energiewende schaffen, wenn wir nicht schneller mit Genehmigungsprozessen werden. Bürokratieabbau und schnellere Entscheidungen – das ist wichtig. Während Corona haben wir vieles schneller geschafft: Das Impfstoff-Werk von Biontech in Marburg wurde in nur acht Monaten umgebaut. Ähnliche Beschleunigungen müssen wir nun bei anderen wichtigen Präparaten umsetzen.
DAZ: Der Preisdruck bei Generika ist enorm. Wie wollen Sie hier die Preisschraube zurückdrehen?
Liese: Daran wird schon seit mehr als 20 Jahren gedreht, nicht erst seit den Rabattverträgen. Das hat sich über Jahre aufgebaut. Wir müssen Produktion und Lieferfähigkeit in Europa honorieren. Wer das zuverlässig garantieren kann und dort produziert, wo die Lieferketten einfacher sind, der sollte das bezahlt bekommen. Bei Generika liegen die Tagestherapiekosten teilweise bei 1 Cent – das ist nicht auskömmlich für Produzenten in Europa. Und der Generika-Anteil im Budget der Kassen ist nicht groß.
DAZ: Generika verursachen rabattbereinigt pro Jahr mit etwa zwei Milliarden Euro nur etwas mehr als 7 Prozent der GKV-Gesamtausgaben, decken aber 80 Prozent der Therapiedosen ab. Wie wollen Sie Geld umverteilen?
Liese: Man muss erst einmal das Problem benennen, um es lösen zu können. Wenn ein Krankenhaus Kinder nicht nachhause schicken kann, weil ein Antibiotikum oral fehlt, entstehen enorme Kosten in einem ohnehin überlasteten System. Der gesellschaftliche Schaden, der hier durch Arzneimittelknappheit entsteht, ist kaum zu beziffern. Es gibt in unserem Gesundheitssystem sehr viele Punkte, an denen wir effizienter werden können und müssen – auch außerhalb des Arzneimittelbereichs.
2 Kommentare
erst Deckung, dann Rückendeckung
von Thomas B am 07.11.2023 um 9:47 Uhr
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Engpässe
von peter am 07.11.2023 um 9:33 Uhr
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