Deutscher Apothekertag 2022

Trügerische Perspektive

Ein Kommentar

Dr. Thomas Müller-Bohn, Redakteur der Deutschen Apotheker Zeitung

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat in seinem virtuellen Auftritt beim Apothekertag das „große Potenzial“ des Apothekerberufs hervorgehoben und neue Aufgaben für die Apotheken in Aussicht gestellt. Er sehe die Apotheker als Gesundheitsdienstleister und Versorger, deren Qualifikation unverzichtbar sei. Das klingt gut. Das klingt nach mehr Bedeutung, mehr Kompetenz und gesicherter Zukunft. Das passt zur Einschätzung von ABDA-Hauptgeschäftsführer Dr. Sebastian Schmitz, der den Einstieg in die pharmazeutischen Dienstleistungen als „historisch“ würdigt. Doch leider zeichneten sich in Lauterbachs Grußwort zwei Probleme ab, die diese Perspektive trüben.

Als einen Grund für weitere Auf­gaben der Apotheken führte Lauterbach an, dass die Angehörigen der Gesundheitsberufe rarer werden. Außerdem gehe es darum, die Versorgung in unterversorgten Gebieten aufrechtzuerhalten. Dies sei durch den Versand nicht zu leisten. Das alles stimmt. Doch klingt dabei an, dass die Apotheker zum Lückenbüßer im Umgang mit dem Ärztemangel werden könnten. Das erinnert an medizinische Hilfsfunktionen und die Behandlung einfacher Erkrankungen, wie sie Apotheken in manchen anderen Ländern wahrnehmen. Schlimmstenfalls könnte die Politik versuchen, die Patientenversorgung in einfachen Fällen mithilfe der Apotheken billiger als durch die Ärzte zu gewährleisten. Das würde neue Zwietracht zwischen den Heilberufen säen. Doch vor allem hätte es nichts mit dem zu tun, was die Pharmazie wirklich zu bieten hat. Pharmazeutische Betreuung soll Patienten zusätzlich bei der Arzneimitteltherapie unterstützen und Probleme verhindern, aber sie ist keine Ersatzmedizin. Sie soll zusätzlich und nicht anstatt ärztlicher Leistungen stattfinden. Leider scheinen viele das noch immer zu verwechseln. Bei Lauterbach wurde das nicht ganz deutlich. Zwei Bemerkungen geben Hoffnung: Er sprach vom Potenzial, das in weiteren pharmazeutischen Dienstleistungen liegt, und er verwies auf seine eigenen Erfahrungen in den USA. Dort werden Leistungen der klinischen Pharmazie schon lange in Apotheken umgesetzt. – Das Grußwort von Lauterbach zeigt demnach, wie dringend es ist, die Weichen für die Weiterentwicklung der Dienstleistungen zu stellen. Daher sollten die Apotheker möglichst bald konstruktive Vorschläge für weitere pharmazeutisch sinnvolle Angebote ­präsentieren.

Bei Lauterbach klang leider noch ein zweites Problem an, das neue Aufgaben zu einer trügerischen Perspektive machen kann: die Honorierung. Zur geplanten befristeten Erhöhung des Apothekenabschlags erklärte Lauterbach, er müsse die Einsparungen auf viele Schultern verteilen. Doch er wolle alles tun, um den Apotheken in dieser Zeit „neue Perspektiven“ zu bieten. Lauterbach ergänzte, den Apotheken könnten kurzfristig in der Pandemiebekämpfung neue Aufgaben zuwachsen. – Das gibt Raum für Spekulationen. Lauterbach könnte wiederholen, was 2021 vielen Apotheken geholfen hat. Die Apotheken könnten für neue Aufgaben so honoriert werden, dass das Defizit des laufenden Geschäfts damit kurzfristig aufgefangen wird. Doch erstens gab es damals keine Inflation, zweitens haben die neuen pharmazeutischen Dienstleistungen eine viel geringere Dimension als die Corona-Sonderleistungen und drittens bliebe das Grundproblem ungelöst. Das lässt sich gut beschreiben, indem man eine Analogie weiterdenkt, die ABDA-Präsidentin Overwiening in ihrem Lagebericht benutzt hat. Neue honorierte Aufgaben wären so, als bekämen Angestellte ihre Überstunden bezahlt, aber das Grundgehalt bliebe auf dem Niveau von vor zwanzig Jahren. Darum ist ein zuverlässiger Anpassungsmechanismus für den festen Zuschlag auf Rx-Arzneimittelpreise unverzichtbar, erst recht in einer Inflation. Nur dieser Weg ist zukunftssicher. Nur auf dieser Grundlage stellt sich die Frage, ob die Apotheken weitere Auf­gaben übernehmen können. Diese ­Logik umzukehren bietet allenfalls eine trügerische Perspektive.

 

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