Urteilsgründe des Kammergerichts liegen vor

Bundesgerichtshof muss sich erneut mit Rx-Boni befassen

Berlin - 30.03.2018, 12:00 Uhr


                            
                                    


                                    Lebt die Ein-Euro-Spürbarkeitsgrenze in Apotheken wieder auf? (Foto: by-studio / stock.adobe.com)

Lebt die Ein-Euro-Spürbarkeitsgrenze in Apotheken wieder auf? (Foto: by-studio / stock.adobe.com)


Der Streit um Boni und Gutscheine, die Apotheken ihren Kunden beim Kauf rezeptpflichtiger Arzneimittel mitgeben, wird erneut vor dem Bundesgerichtshof landen. Die Wettbewerbszentrale hat angekündigt, gegen das Urteil des Berliner Kammergerichts, das einem Apotheker die Ausgabe von Ein-Euro-Boni gewährt hatte, Revision einzulegen.

Nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) zur Rx-Preisbindung sind auch vor den deutschen Gerichten wieder verschiedene Boni-Varianten Apotheken aufgelaufen. Manch einer wollte austesten, ob die Gerichte Rx-Boni deutscher Apotheken im Lichte der EuGH-Entscheidung und der damit einhergehenden Inländerdiskriminierung anders sehen – und das heilmittelwerberechtliche Zugabeverbot anders auslegen.

Denn nach § 7 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 HWG sind seit dem Sommer 2013 Zuwendungen oder Werbegaben für Arzneimittel unzulässig, soweit sie entgegen den Preisvorschriften gewährt werden, die auf Grund des Arzneimittelgesetzes gelten. Zuvor hatte man Zuwendungen selbst dann für zulässig erachtet, wenn sie entgegen den arzneimittelrechtlichen Vorschriften gewährt wurden – vorausgesetzt sie waren geringwertig. Geringwertige Barrabatte waren dagegen zwar unzulässig, aber aus Sicht der Gerichte nicht geeignet, die Interessen von Marktteilnehmern spürbar zu beeinträchtigen. Es gab daher die sogenannte Spürbarkeitsgrenze von einem Euro. Gibt es nun eine Rückkehr zu dieser Schwelle? Die Gerichte sind sich darüber bislang nicht einig.

Der Ofenkrusti-Fall

Ende 2017 entschied das Oberlandesgericht Frankfurt auf eine Klage der Wettbewerbszentrale, dass die Gutscheine einer Darmstädter Apothekerin für „2 Wasserweck oder 1 Ofenkrusti“ unzulässig waren. Diese Gutscheine für eine Bäckerei in der Nähe bekam, wer in der Apotheke ein Rezept über verschreibungspflichtige Arzneimittel einlöste. Die Frankfurter Richter verwiesen in ihrem Urteil darauf, dass der Gesetzgeber mit der Änderung des § 7 HWG die Rechtsprechung vereinheitlichen wollte.

Kammergericht mit anderem Blick auf § 7 HWG

Nun hat das Berliner Kammergericht in einem anderen Verfahren der Wettbewerbszentrale entschieden, dass ein Ein-Euro-Gutschein bei Einlösung eines Rezeptes, der beim nächsten Kauf eingelöst werden konnte, nicht zu beanstanden ist. Dabei hob es maßgeblich auf die Spürbarkeitsschwelle ab: Zwar liege ein Verstoß gegen die Arzneimittelpreisbindung vor, heißt es in den jetzt vorliegenden Entscheidungsgründen. „Es fehlt aber an einer Spürbarkeit des Verstoßes“.

Die Richter nehmen in dem Urteil auch Bezug auf die EuGH-Entscheidung vom 19. Oktober 2016. Sie verweisen allerdings darauf, dass diese die Anwendbarkeit der Regelungen zur Preisbindung für den innerdeutschen Verkauf von Arzneimitteln nicht berühre – es gehe hier nur um das Verhältnis des deutschen Preisrechts zu ausländischen Versandapotheken. Auch die Inländerdiskriminierung – also der Umstand, dass deutsche Apotheken anders als ihre EU-ausländische Konkurrenz keine Boni gewähren dürfen – sprechen die Berliner Richter an. Ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz könne jedoch nicht angenommen werden – dies gelte umso mehr, als dass der Umsatzanteil EU-ausländischer Versandapotheken am Rx-Markt bei lediglich 0,6 Prozent liege. Dabei nehmen die Richter Bezug auf eine vorangegangene Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Lüneburg, mit der sogar 50-Cent-Bonus-Bons verboten worden waren.

Die Rückkehr der Spürbarkeitsgrenze?

Das Kammergericht kommt allerdings zu dem Schluss, dass eine lauterkeitsrechtliche Spürbarkeit gegeben sein müsse (§ 3a UWG). Ein Barrabatt von 1 Euro stelle aber nur eine geringwertige Kleinigkeit dar, die – spürbare – Wertgrenze sei nicht überschritten. Die geänderte Fassung des § 7 HWG stehe dem nicht entgegen, so das Gericht. Aus der Änderung, dass auch geringwertige Zuwendungen und Werbegaben nicht entgegen der arzneimittelrechtlichen Preisvorschriften gewährt werden dürfen, hätten Obergerichte verbreitet den Schluss gezogen, eine wettbewerbsrechtliche Spürbarkeit könne nicht mehr verneint werden. Dies ist aus Sicht der Berliner Richter jedoch „nicht überzeugend“.

Geringwertige Kleinigkeiten ohne Gefahrenpotenzial 

Der Bundesgerichtshof habe die fehlende Spürbarkeit nämlich auf die Wertung des Gesetzgebers zurückgeführt, dass die Abgabe geringwertiger Kleinigkeiten „kein Gefahrenpotenzial“ berge. Daran habe sich auch im Verlauf jahrelanger Rechtsanwendung nichts geändert. Beim Wettbewerb der Apotheken durch Abgabe geringwertiger Kleinigkeiten gehe es um das Einkommensinteresse der Apotheker. Allein die Apotheker trügen für diese die finanziellen Lasten – und wenn sie alle deratige Zugaben gewähren würden, würden sich die Wettbewerbsvorteile weitgehend neutralisieren, so das Gericht. Damit schütze ein gesetzliches Zugabe-Verbot ohne Einschränkungen „allein das Interesse der Apotheker in ihrer Gesamtheit an einem höheren Ertrag (gleichsam wie eine diesbezügliche Kartellabsprache), ohne dass dies nach den Schutzgütern […] heilmittelwerberechtlich oder arzneimittelpreisrechtlich notwendig wäre […]“.  

Spürbarkeit in jedem Einzelfall zu prüfen

Somit kommen die Richter zu dem Schluss, dass die Gerichte auch nach der Änderung des § 7 HWG in derartigen Fällen die lauterkeitsrechtliche Spürbarkeit einer Rechtsverletzung eigenständig und im Einzelfall zu prüfen haben. Dies gelte umso mehr, als die Norm weiterhin handelsübliche Nebenleistungen – etwa die Erstattung von Fahrtkosten – und die Ausgabe von Apothekenzeitungen erlaube – und zwar ohne Einschränkungen. „Daraus folgende Anlockwirkungen der Verbraucher und der finanzielle Aufwand des einzelnen Apothekers können deutlich höher sein als bei der Vergabe geringwertiger Kleinigkeiten“, so das Kammergericht.

Schließlich gehen die Richter auch noch auf die Frage ein, ob die Spürbarkeitsgrenze auch im Berufs- und Verwaltungsrecht gilt. Davon gingen die Verwaltungsgerichte früher nämlich nicht aus – was zu widersprüchlichen Entscheidungen der unterschiedlichen Gerichtszweige führte. Die Berliner Richter meinen allerdings, die Frage könne „hier dahingestellt bleiben“. In berufsrechtlichen  und verwaltungsrechtlichen Verfahren bestehe nach wie vor die Möglichkeit, „bei geringwertigen Zuwendunqen  entgegen arzneimittelpreisrechtlichen Vorschriften – je nach den Umständen des Einzelfalles –  das Eingriffsermessen entsprechend den verfassungsmäßigen Vorgaben der Verhältnismäßigkeit einzuschränken“.   

Nun ist klar: Der Bundesgerichtshof ist wieder gefragt. Im Ofenkrusti-Fall hat die beklagte Apothekerin Revision zum Bundesgerichtshof eingelegt. Und im Berliner Fall hat die Wettbewerbszentrale angekündigt, in die nächste Instanz zu ziehen.

Urteil des Kammergerichts Berlin vom 13. März 2018, Az.: 5 U 97/15



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