DAZ.online-Miniserie „Jüdische Apotheker“ (3)

Geschichten von Flucht und Vernichtung

Berlin - 17.08.2018, 17:50 Uhr

Apotheke im Ghetto Litzmannstadt (Lodz). Im Teil 3 der DAZ.online-Miniserie über jüdische Apotheker geht es darum, welche Wege jüdische Apotheker während der Verfolgung durch die Nazis genommen haben. ( r / Foto: dpa)

Apotheke im Ghetto Litzmannstadt (Lodz). Im Teil 3 der DAZ.online-Miniserie über jüdische Apotheker geht es darum, welche Wege jüdische Apotheker während der Verfolgung durch die Nazis genommen haben. ( r / Foto: dpa)


Frühzeitige Auswanderung Richtung Palästina

Diese erste Welle massiver Ausgrenzung und Unterdrückung nach der Machtübernahme 1933 veranlasste vor allem politisch verfolgte und jüngere Juden zur Auswanderung. Frank Leimkugel beschreibt in seinem Buch „Wege jüdischer Apotheker“ wie vor allem dem Zionismus nahestehende Apotheker in den Jahren 1933 und 1934 ihre Emigration nach Palästina bzw. „Eretz Israel“ (Land Israel; das historische Heimatland der Juden) planten. Sie hatten bereits die Übergriffe des sogenannten Boykottsamstages am 1. April 1933 als Warnschuss angesehen. Einer von ihnen war Alfred Schindler (Gogolin 1883 – 1972 Haifa), der seit 1927 die Adler-Apotheke im ostpreußischen Elbing besessen hatte und im Oktober 1933 mit seiner Familie nach Palästina auswanderte.

Seine Tochter berichtete über die damaligen Ereignisse: „Mein Vater war seit seiner Kindheit Zionist. Nur wegen des Klimas ist er nicht früher nach Israel ausgewandert. Sofort als Hitler kam, wurden die Kassenrezepte entzogen, die natürlich die Haupteinnahmequelle der Apotheke waren.“ Ferner seien auch Kollegen interessiert gewesen, ihn als Konkurrenten auszuschalten: „Kollegen verbreiteten Lügen, jeder Tag war lebensgefährlich. Der Entschluss zur sofortigen Emigration nach Palästina war nicht schwierig.“ Die Apotheke hätte dann allerdings zu einem „lächerlichen Preis“ verkauft werden müssen. Alles sei danach aber sehr schnell gegangen.  

Flucht – aber wohin?

Nachdem in den Jahren 1933 und 1934 die meisten Juden in westeuropäische Länder oder nach Palästina auswanderten, änderte sich die Situation in den darauffolgenden Jahren. Vermehrt bemühten sie sich um Einwanderungsgenehmigungen in Nord- und Südamerika sowie in England. Doch die Quotenregelungen zum Beispiel in den USA waren strikt: Nur knapp über 27.000 deutsch-jüdische Immigranten durften dort pro Jahr einwandern. Auch die jüdischen Apotheker versuchten zunehmend ins Exil zu gehen. Ab 1936 nahm die Zahl der Emigrationswilligen stark zu. Anlass war das „Gesetz über Verpachtung und Verwaltung von Apotheken“, das ab 1. Oktober 1936 in Kraft trat und die Situation der jüdischen Pharmazeuten deutlich verschlechterte. Die meisten Apothekeremigranten wählten die USA als Einwanderungsland.

Juden auf der Flucht in Richtung England. (Foto: Imago)

Die südamerikanischen Länder lagen in ihrer Gesamtheit nach den USA, Palästina und England auf dem vierten Rang der Aufnahmeländer jüdischer Apotheker. Brasilien und Argentinien waren die Hauptaufnahmeländer Südamerikas. Erich Loewenberg (Berlin 1886-1957 Sao Paulo) floh mit seiner Familie nach Verkauf der Heidelberger Universitäts-Apotheke nach Brasilien. Sein Sohn, Werner Loewenberg, schilderte die Ereignisse rund um die Flucht: „Die Bedingungen des Verkaufs der Universitäts-Apotheke waren denkbar schlecht, die Nutzbarmachung des Erlöses katastrophal. Die Vorbereitung auf die Emigration beruhte im Wesentlichen auf der Möglichkeit, ein Einreisevisum für das erwünschte Land zu erhalten. Mit der Zeit war aus ‚erwünscht‘ jedes beliebige Land geworden, das Sicherheit bot.“



Inken Rutz, Apothekerin, Autorin DAZ.online
redaktion@daz.online


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