Ibuprofen, Diclofenac, Estradiol, Triclosan und Co.

Warum die Reduktion von Arzneimitteln in Gewässern auch eine Geldfrage ist

Stuttgart - 24.01.2022, 13:45 Uhr

Diclofenac steht nicht nur oft weit oben im Regal, sondern auch weit oben auf der Liste schädlicher Spurenstoffe für unsere Gewässer. (s / Foto: Schelbert / DAZ)

Diclofenac steht nicht nur oft weit oben im Regal, sondern auch weit oben auf der Liste schädlicher Spurenstoffe für unsere Gewässer. (s / Foto: Schelbert / DAZ)


Oft bekommen Probleme und Dinge, deren Wert üblicherweise nicht in Geld ausgedrückt wird, nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdienen. Das ist besonders bei Umweltthemen so. Konkret am Beispiel von Arzneimitteln kann man aber vorrechnen, wie viel Geld Arzneimittelhersteller aufbringen müssten, um dabei zu helfen, unsere Gewässer sauberer zu halten. Ein aktuelles Gutachten hält dafür einen Fonds-Ansatz aus zwei Gründen für eine Lösung vieler Probleme.

Kennen Sie die europäische Wasserrahmenrichtlinie? Wie der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) auf seinem Internetauftritt erklärt, handelt es sich um das wichtigste europäische Wassergesetz, auf das sich die EU-Mitgliedsländer im Jahr 2000 geeinigt haben. Es ging darum, für alle Gewässer bis 2015 einen „guten Zustand“ zu erreichen. „In Deutschland wurde jedoch für über 90 Prozent aller Flüsse und Seen die Frist auf 2021 bzw. sogar schon auf 2027 verlängert“, wie der BUND erklärt. Er kritisiert, dass es der „Gewässerschutzpolitik in Deutschland nicht gelungen ist, für den notwendigen Rückenwind in der Gesellschaft zu sorgen“.

Im Rahmen dieser Umweltdiskussion über unsere Gewässer wird hinsichtlich Arzneimittel immer wieder berichtet, dass zum einen grundsätzlich der Eintrag schädlicher Arzneistoffe und deren Metabolite in die Umwelt minimiert werden müsse, es andererseits aber auch eine vierte Reinigungsstufe in unseren Kläranlagen brauche, um die unvermeidbaren Einträge aufzureinigen. Daran schließt sich direkt die Frage an, wie eine solche zusätzliche Reinigungsstufe finanziert werden kann und soll. 

Die DAZ berichtete beispielsweise schon im Juni 2018 über ein Gutachten des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung UFZ in Leipzig im Auftrag des Umweltbundesamts (UBA), in dem die Option einer „Arzneimittelabgabe“ unter ökonomischen und juristischen Gesichtspunkten bewertet wurde. „Rechtlich wäre die Einführung einer Arzneimittelabgabe ohne Probleme möglich und auch aus ökonomischer Sicht sinnvoll“, hieß es. Im Oktober 2018 sprachen sich dann auch der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) und die Grünen-Bundestagsabgeordnete Bettina Hoffmann dafür aus, die Arzneimittelhersteller an den Umweltkosten zu beteiligen. Die Kosten könnten auf die gesamte Arzneimittelvertriebskette umgelegt werden, hieß es. Dann würden sie allerdings von den Krankenkassen und Beitragszahlern mitgetragen werden. Oder es könne alternativ ein Fonds eingerichtet werden, der von der Pharmaindustrie zu füllen sei. Hoffmann bevorzugte einen solchen Fonds.

Neues Gutachten zur Umsetzbarkeit der Fonds-Lösung

Jetzt hat der BDEW am 13. Januar 2022 ein „Gutachten zur Umsetzbarkeit der Fonds-Lösung zur Finanzierung der Spurenstoff-Elimination in Kläranlagen“ veröffentlicht. Im Zentrum dieses Gutachtens steht beispielhaft und nicht zum ersten Mal der Wirkstoff Diclofenac. In einer begleitenden Pressemitteilung heißt es, dass allein durch Diclofenac Umweltreinigungskosten von rund 1,5 Milliarden Euro über einen Zeitraum von 30 Jahren entstehen. Die Studie soll aufzeigen, wie eine „verursachergerechte Finanzierung von Abwassereinigungskosten im Sinne der Herstellerverantwortung in der Praxis aussehen könnte“.

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Für die Studie wurden in einem repräsentativen Untersuchungsgebiet in Nordrhein-Westfalen die Spurenstoffe untersucht, die aus Kläranlagen in die Gewässer gelangen, heißt es zum Hintergrund. Die Ergebnisse zeigten, dass 95 Prozent der schädlichen Einträge auf zehn Spurenstoffe entfallen – wobei allein Arzneimittel mit dem Wirkstoff Diclofenac 22,4 Prozent der schädlichen Einträge verursachten.

Folgt man dem vorgeschlagenen Fonds-Modell, wonach die Inverkehrbringer eines Spurenstoffs gemäß dem Anteil des von ihnen in Verkehr gebrachten Spurenstoffs zur Finanzierung der Gesamtkosten beitragen, müssten die Hersteller von Diclofenac rund 20 bis 25 Prozent der Kosten tragen, heißt es. Durch den Zubau zusätzlicher Reinigungsstufen in einem 30-jährigen Betrachtungszeitraum geht man von entstehenden Gesamtkosten von 5,85 Milliarden Euro aus. Alle Inverkehrbringer von Diclofenac müssten damit also in den nächsten 30 Jahren gemeinsam bis zu 1,5 Milliarden Euro in den Fonds einzahlen – sofern der Eintrag in die Umwelt nicht verringert wird.

Ibuprofen an der Spitze der Top Ten der schädlichen Spurenstoffe?

In der Zusammenfassung des Gutachtens heißt es, dass grundsätzlich von einer Zunahme des Eintrags von Spurenstoffen in die Gewässer ausgegangen werden müsse. Es wird angenommen, dass zwischen 2015 und 2045 der Einsatz an rezeptpflichtigen Arzneimitteln um bis zu 70 Prozent steigen wird. All das mit einer vierten Reinigungsstufe bekämpfen zu können, erscheint unwahrscheinlich. Und so setzt die Fonds-Lösung bewusst darauf, dass „Innovationen, die durch den Wunsch, Kosten zu sparen, seitens der Verursacher umgesetzt werden“, auch solchen Gewässern zugutekommen, in die Kläranlagen auch langfristig ohne vierte Reinigungsstufe einleiten. Denn nicht alle der rund 10.000 Kläranlagen in Deutschland könnten mit einer vierten Reinigungsstufe ausgebaut werden, zudem würden viele Stoffe diffus eingetragen. „Die Gewässer werden sauberer, einerseits durch das Vorhalten von vierten Reinigungsstufen, andererseits durch die Entwicklung gewässerschonenderer Produkte“, heißt es wörtlich.

Umweltkosten pro Jahr: bis zu 20 Prozent des Umsatzes von Diclofenac

Warum all das auch für Apotheker:innen wichtig ist, zeigt die beispielhafte Gewässeruntersuchung in NRW. Dort wurde nachgewiesen, dass von 151 analysierten Spurenstoffen 51 Stoffe über Kläranlagen in Gewässer gelangen. Dabei sollen auf die Top-Ten-Spurenstoffe mehr als 95 Prozent der relativen Schädlichkeit entfallen. Und zu diesen „Top Ten“ gehört eben auf Platz zwei Diclofenac. Zur Veranschaulichung wird in dem Gutachten vorgerechnet, dass im Jahr 2019 der Umsatz von rezept- und apothekenpflichtigen Arzneimitteln mit dem Einzelwirkstoff Diclofenac 242 Millionen Euro betrug (laut IQVIA-Daten, Verkauf über Apotheken und Versandhandel). Wie bereits erwähnt müssten gemäß dem Fondsmodell alle Inverkehrbringer von Arzneimitteln mit dem Einzelwirkstoff Diclofenac über einen Betrachtungszeitraum von 30 Jahren zwischen 1,17 und 1,46 Milliarden Euro an Umweltkosten aufbringen. „Bezogen auf den Umsatz von 2019 entspräche dies pro Jahr einem Anteil zwischen 16,1 Prozent und 20,2 Prozent“, heißt es.

Ibuprofen relativ schädlicher als Estradiol

Weitere in der Apotheke gut bekannte Stoffe auf der Top-Ten-Liste sind – auf Platz eins – Ibuprofen, auf Platz vier Estradiol, auf Platz sechs Triclosan, auf Platz sieben Carbamazepin und auf Platz acht Clarithromycin. Mit einer relativen Schädlichkeit von 30,24 Prozent für Ibuprofen führt das NSAR gemeinsam mit Diclofenac (22,42 Prozent) deutlich unter den Top Ten. Für Estradiol wird beispielsweise eine relative Schädlichkeit von 5,92 Prozent angegeben, obwohl der Schädlichkeitsbeiwert bei 2.500 liegt (gegenüber 20 bei Diclofenac). Das liegt daran, dass die Menge, die in die Gewässer gelangt, mit einer deutlich niedrigeren Fracht angegeben wird (2,04 versus 964,17 bei Diclofenac). 

In Schweden wird Diclofenac schon länger kritisch beobachtet. Bei der Umweltbewertung von Medikamenten werden dort die Arzneimittelkommissionen durch eine frei verfügbare Arzneimittel- und Umweltdatenbank (Pharmaceuticals and Environment - Janusinfo.se) unterstützt. Dass dort Ibuprofen als weniger umweltschädlich eingeschätzt wird als Diclofenac, zeigt, dass die Bewertung von Spurenstoffen für das vorgeschlagene Fondsmodell noch Probleme bereiten könnte. In Deutschland scheint es jedenfalls laut aktuellem Gutachten aus Umweltsicht keine gute Idee zu sein, Diclofenac durch Ibuprofen zu ersetzen. Laut „Janusinfo.se“ ist aber Paracetamol unter Umweltgesichtspunkten eine „sehr sichere Alternative“.

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Wie das Gutachten auch erklärt, wird laut einer von Pro Generika beauftragten Studie aus dem Jahr 2020 von der europäischen Gesamtnachfrage nach dem Wirkstoff Diclofenac nur 10 Prozent in Europa produziert. 85 Prozent der Produktion sollen in Indien stattfinden, 5 Prozent in China. Mit der vorgeschlagenen Fonds-Lösung sollte das jedoch kein Problem sein, weil sie sich auf den Inverkehrbringer eines Spurenstoffs bezieht. Für im Ausland hergestellte Produkte müsste also der jeweilige Importeur auf Basis seiner importierten Menge in den Fonds einzahlen. Allerdings müsste man juristisch prüfen, ob dies mit den (europa-)rechtlichen Rahmenbedingungen vereinbar wäre, heißt es. 

Deutlich wird jedenfalls: Den Eintrag von Diclofenac und Co. in die Gewässer zu reduzieren, ist nicht nur aus Umweltgründen, sondern auch aus finanziellen Gründen anzustreben. 



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Gehts noch

von ratatosk am 25.01.2022 um 10:04 Uhr

Wie lächerlich ist das denn ?
Erst wird das Sammeln von Arzneimitteln durch die Novellierung der Müllverordnungen sinnlos abgeschafft, die Bundesländer ( wohl außer Berlin ) machen dann natürlich selbst nichts ! und dann den großen Kontrolletie spielen. Wieviel zahlen dann die Reifenerzeuger für das Abschwemmen des Abriebs etc. etc.
Sinnvolles Handeln sieht anders aus, hier will sich halt mal wieder jemand punktuell profilieren, der wohl Pharma halt nicht mag, hätte jede andere Anwendung auch sein können.
Der vorgeschlagene Finanzierungsweg ist ein Musterbeispiel für ein bürokratisches Monster, das schon jetzt gerade Deutschland lahmlegt und zur internationalen Lachnummer gemacht hat.

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